Viele Mütter stürzen in eine Krise, wenn die Kinder ausziehen. Was hilft?
VON KRISTINE KÜHL
Wenn die Kinder ausziehen, ist es irgendwann so weit. Was viele Eltern während der kräftezehrenden Pubertät herbeigesehnt haben, dem begegnen sie jetzt mit gemischten Gefühlen. Trotz der neugewonnenen Freiheit fühlen sie sich verlassen. Besonders alleinerziehende Mütter sind überrascht von der Trauer und der Einsamkeit, die sie nach dem Auszug überwältigt.
Die alleinerziehende Sabine (49) erzählt: „Ich war lange drauf vorbereitet, dass mein Sohn zum Studium in eine andere Stadt zieht, Ich freute mich auf meine neue Freiheit, hatte Pläne für das leere Kinderzimmer. Ich war stolz auf meinen großen Jungen und neugierig auf sein neues Leben. Doch kaum war der Umzugswagen um die Straßenecke gebogen, hat es mich voll erwischt. Wochenlang konnte ich kaum essen, nicht schlafen, ich hatte zu nichts Lust. Warum fühlte ich mich so elend?“
Sabine ist mit ihrem Kummer nicht allein. Vielen Müttern geht es wie ihr. Sie Sind überrascht von der Wucht, mit der es sie trifft und denken, das sei nicht normal. Oft trauen sie sich nicht, darüber zu sprechen, schließlich ist es doch völlig klar, dass das Kind das Elternhaus irgendwann verlässt. All die Jahre haben sie ihr Kind zur Selbstständigkeit erzogen. Und nun machen sie sich selbst Vorwürfe, weil sie so übertrieben reagieren. „Ich dachte, ich ticke nicht richtig“, sagt Sabine.
Es ist ungefähr so, als würde man in Rente gehen
Bettina Teubert, die in Berlin die Selbsthilfegruppe Empty Nests Moms gründete, findet das völlig normal. „Kinder aufzuziehen ist die größte Aufgabe eines Menschen. Natürlich ändert sich etwas, wenn die erledigt ist. Es ist ungefähr so, als würde man in Rente gehen.“
Abschied von den Kindern: Warum leiden Mütter?
Bettina Teubert: Vielen Müttern wird erst, wenn das Kind wirklich weg ist, klar, dass mit dem Nachwuchs auch ein Teil ihres Lebens geht. Diese Lebensphase ist endgültig vorbei. Auch wenn man auf Ereignisse vorbereitet ist, fühlt man sie erst richtig, wenn es soweit ist. Mit diesem neuen Lebensabschnitt hat man ja noch keine Erfahrung. Außerdem trifft die Trennung vom Kind für Frauen oft mit der Menopause zusammen, das Älterwerden rückt nun ungefiltert in den Fokus.
Reagieren Alleinerziehende anders als Paare?
Alleinerziehende sind nun wirklich allein. Das Selbstverständliche, dass einfach jemand da war, ist vorbei. Ihr Ansprechpartner ist weg. Nun können besonders die Abende und Wochenenden sehr einsam sein. Viele Freundschaften und Kontakte sind über die Jahre eingeschlafen. Wenn sie jetzt nicht allein sein wollen, müssen die Mütter aktiv werden. Paare werden sich noch einmal neu begegnen. Beim Essen sitzt man sich zu zweit gegenüber. Was nun? Ich habe beobachtet, dass dann eher die Frauen nochmal neu anfangen wollen. Sie beginnen, die Altersphase zu planen. Die Männer wollen häufig nichts vom Thema wissen. Dann rappelt es ordentlich, und es gehört eine Menge Mut dazu, sich damit auseinander zu setzen. Nicht wenige Paare trennen sich in dieser Zeit. Doch für die Paare, die sich jetzt erneut füreinander entscheiden, folgt meistens eine sehr friedvolle Phase.
Wie entwickelt sich die Beziehung zu den Kindern?
Auch wenn der Nachwuchs nur spärlich Kontakt sucht, rate ich, die Kinder ziehen zu lassen. Schließlich müssen sie sich in der neuen Umgebung einleben und im neuem Job, im Studium oder in der Partnerschaft zurecht finden. Geben Sie ihnen die Zeit, die sie brauchen. Keine Angst, Sie sind Ihren Kindern weiterhin wichtig, auch wenn es erst einmal nicht so aussieht. In den meisten Fällen entsteht ein natürlicher und verlässlicher Umgang miteinander. Wenn Sie anfangs noch sehr traurig sind, vermitteln Sie Ihren Kindern die Gefühle maßvoll, schließlich wollen Sie sie nicht gänzlich vertreiben. Ein wenig Wehmut kann man schon zeigen, wenn einem danach ist, sonst denken die Kinder womöglich, dass Sie es nicht erwarten können, sie los zu werden.
Wenn die Kinder ausziehen: Was hilft aus der Krise?
Krise klingt dramatischer, als es ist. Krisensituationen sind Übergänge, durch die wir uns weiter entwickeln, die zu unserem Leben gehören und die wir schon oft durchgestanden haben. Überlegen Sie, mit welchen Strategien Sie in der Vergangenheit einschneidende Wendungen bewältigt haben. Oft rate ich den Frauen zu gucken, was sie im Laufe der Jahre aufgegeben haben. Was hat sie interessiert? Welche Hobbys haben sie gepflegt, bevor die Kinder geboren wurden? Geht wieder ins Kino oder Theater, wenn ihr es früher gern getan habt. Kocht euch etwas, das nur euch schmeckt. Gönnt euch etwas. Oft fällt es den Müttern schwer, etwas allein zu unternehmen, aber es lohnt sich. Mein Tipp: Für Veranstaltungen kauft man sich am besten vorher eine Karte, damit einen später nicht der Mut verlässt.
Wie lange dauert die Niedergeschlagenheit?
Gleichgültig, ob man allein ist, in der Partnerschaft oder ob es die Beziehung zu den Kindern betrifft, in der Regel ruckelt sich die neue Situation innerhalb eines Jahres zurecht.
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