Warum positives Denken leicht nach hinten losgeht

Überraschend: Wer Erfolg haben will, sollte nicht immer nur das Gute sehen

Die beiden hatten große Pläne. Klaus und Frank kannten sich schon aus Studienzeiten und wollten gemeinsam einen Online-Shop eröffnen. Erst einmal im Nebenberuf, danach vielleicht in Vollzeit oder später als nettes Zubrot zur Rente. Klaus, der Marketing-Profi und Berufs-Optimist, und Frank, der IT-Spezialist und Skeptiker vom Dienst, ergänzten sich gut, scheiterten aber an unterschiedlichen Auffassungen – und zwar über den Sinn des positiven Denkens. Nach den ersten Erfahrungen zeigte sich, dass die hohe Qualität, auf die die beiden Mittfünfziger bei ihren Produkten setzen wollten, für die Käufer nicht wichtig war. Billig Produziertes verkaufte sich genauso wie hochwertige Ware, fuhr aber schnell Gewinne ein.

Nur positiv Denken ist nicht gewinnbringend

Als die Ausgaben höher blieben als die Einnahmen, wollte Frank die Strategie ändern und die Ansprüche herunterschrauben. Masse statt Klasse. Klaus blieb bei seinen großen Visionen, wollte von den schlechten Zahlen nichts hören, argumentierte mit Sätzen aus der Motivationspsychologie wie „Wir müssen nur positiv denken – Ich bin Optimist – Qualität setzt sich von alleine durch“. Als das Startkapital aufgebraucht war, mussten die beiden den Shop schließen. Klaus sah die Schuld bei Frank („du wolltest ja nicht mehr weitermachen, was wir es uns vorgenommen hatten“). Frank wiederum sah Klaus als Schuldigen („du verdrängst die Tatsache, dass positives Denken allein keinen Gewinn bringt“).

Skeptiker werden schneller gesund

Tatsächlich ist da etwas dran. Positives Denken ist zwar grundsätzlich gut, beflügelnd und motivierend, es kann aber auch nach hinten losgehen, wenn es den Blick auf die Realität blockiert. Studien zeigen, dass Menschen, die zu oft positiv denken, beim Handeln häufig Probleme bekommen. So zeigte sich zum Beispiel, dass Hochschulabsolventen, die ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt durchweg positiv sahen, weniger Bewerbungen schrieben, weniger Angebote bekamen und auch zwei Jahre später noch weniger verdienten als diejenigen, die sich real einschätzen. Dieses Phänomen lässt sich auch bei Heilungsprozessen beobachten. Wer nur positiv denkt („das wird bestimmt ganz schnell wieder gut“) muss nach Operationen länger auf die Genesung warten. Wer hingegen befürchtet, gar nicht mehr oder nur sehr langsam gesund zu werden, ist eher bereit, etwas dafür zu tun. Logisch, dass es dann auch besser gelingt.

Zweck-Optimisten sind oft langweilig

Den Sonnyboys und -girls fehlt auch noch eine andere wichtige Eigenschaft. Sie sind nicht auf Krisen vorbereitet und können deshalb schlecht damit umgehen. Sie reagieren hilflos, ziehen sich beleidigt zurück, werden passiv und blicken nicht mehr nach links und rechts. Häufig sehen sie sich schon am Ziel, bevor sie überhaupt etwas gemacht haben. Sie verlassen die eigene Komfortzone nicht mehr, werden bequem und haben keine Energie mehr, um die Ziele wirklich zu erreichen. Hinzu kommt: Zweck-Optimisten sind nicht sonderlich kreativ, denn Kreativität beruht auf der Fähigkeit, Probleme zu lösen. Wer nur verkündet „Alles wird gut“ oder „Mir geht‘s prima“ wirkt auf andere recht langweilig. Die Dauerlächler haben nichts Interessantes zu erzählen. Es ist zwar einfach, aber nicht sonderlich originell, den Erfolg zu predigen statt ihn umzusetzen.

Die wahren Probleme bleiben ungelöst

Wer – zur Not mit viel Selbstdisziplin – krampfhaft positiv denken möchte, kann damit zwar eine Zeitlang negative Gedanken verdrängen oder bagatellisieren, doch die Probleme, die dahinterstecken, werden nicht gelöst. Die Think-positive-Strategien führen dazu, dass man wichtige Gefühle nicht analysiert, sodass sie einen weiterbringen, sondern nur übertüncht. Dann muss man nichts tun, was anstrengend ist, Widerstände erzeugt oder einen dazu bringt, sich um etwas zu kümmern. Genau diese Funktion haben negative Gefühle aber. Deshalb sollten sie nicht unterdrückt werden.

Bloß nicht aufhören nachzudenken

„Aber sonst heißt es doch immer, dass man sich auf die positiven Seiten des Lebens konzentrieren soll“, lautet ein Einwand. Zu Recht. Die Vorstellung vom positiven Denken als Schlüssel zu einem besseren Leben ist weit verbreitet – und natürlich auch nicht ganz falsch. Doch sie ist zu einfach. Wie lässt sich die Kraft des positiven Denkens also einsetzen, um die Chancen auf Erfolg zu erhöhen? Die wichtigste Regel: Bei allem Positive Thinking darf man nicht aufhören nachzudenken. Wir müssen die Antennen ausfahren und beobachten, was passiert, nachdem wir etwas gemacht haben. Welche Folgen hat unser Handeln? Darauf müssen wir flexibel reagieren statt einfach Durchhalteparolen auszugeben. Ein „Wird schon werden“ macht unvorsichtig. Man verschließt die Augen und stellt das Denken ein, statt zu erkennen, worauf es ankommt.

Negative Gedanken sichern das Überleben

Dauerhaft positiv zu denken, entspricht nicht der menschlichen Natur. In der Steinzeit hätte niemand damit überlebt. Wer durchkommen wollte, musste sich mit negativen Themen wie Gefahren, Problemen und Schwierigkeiten beschäftigen. Das „katastrophische Gehirn“ ist ein Automatismus, den die Natur uns mit auf den Weg gegeben hat. Dieses Gehirn ist immer auf das Schlimmste vorbereitet. Nur wer einen guten Plan hatte und den dann auch schnell genug umsetzen konnte, fiel keinen wilden Tieren zum Opfer. Der Automatismus darf sich allerdings in der heutigen Zeit nicht verselbstständigen. Genauso wie wir die Welt nicht nur durch eine rosarote Brille sehen dürfen, sollten wir auch nicht nur Desaster an die Wand malen. Der Mix macht‘s. Ein bisschen träumen, aber dabei realistisch bleiben. Positiv denken ja, aber bitte ohne Zwang. Frank hat den Shop übrigens später alleine wieder eröffnet. Das Geschäft läuft – in kleinerem Rahmen zwar, jetzt aber mit Gewinn.

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