Selbstbezogen, eifersüchtig, grausam – Wie man mit der Persönlichkeitsstörung umgeht
Auf den ersten Blick sind es oft nette Menschen. Sie wecken Interesse, weil sie sich aufgeschlossen, charmant und entgegenkommend zeigen. Ob als potentieller Partner, gute Kollegin oder interessante neue Bekannte – es ist nicht schwer, mit ihnen ins Gespräch zu kommen und den Kontakt zu intensivieren. Sie beißen sofort an und haben immer etwas zu erzählen. Doch so sehr man sich bemüht, am Ende eines Treffens bleibt ein ungutes Gefühl. Die anderen fühlen sich gestresst, sind genervt und unzufrieden. Obwohl es so verheißungsvoll losging, bleibt nicht mehr als ein schaler Nachgeschmack. „Der hat ja nur von sich erzählt, andere sind gar nicht zu Wort gekommen“, heißt es dann. Und wenn doch mal jemand etwas gesagt hat, gab’s Gemecker: „Lass mich bitte ausreden!“ Ab jetzt war klar: Bloß nicht provozieren. Noch ein Wort und der schnappt ein oder rastet aus. Unausgesprochen steht die Frage im Raum: Haben wir es mit einem Narzissten zu tun?
Übermäßige Selbstliebe oder psychische Erkrankung
Dafür spricht einiges. Auch wenn der Begriff oft zu schnell verwendet wird und mit etwa sechs Prozent der Weltbevölkerung vergleichsweise wenige Menschen unter der krankhaften Persönlichkeitsstörung leiden, ist das zerstörerische Potential jedes einzelnen groß. In der Wissenschaft wird zwischen dem umgangssprachlichen Narzissmus, der für übermäßige Selbstverliebtheit steht, und der narzisstischen Persönlichkeitsstörung unterschieden. Jeder gesunde Mensch kann narzisstische Züge haben, die nicht gleich eine Krankheit sind. Manche kommen damit sogar ganz gut durchs Leben, weil die moderaten Varianten sie zu attraktiven, durchsetzungs- und begeisterungsfähigen Menschen macht, denen andere am Anfang gerne folgen.
Das oberflächliche Charisma nutzt sich schnell ab
Doch selbst wenn jemand nur narzisstische Züge hat, ist Vorsicht geboten. Denn engere Beziehungen sind für die meisten Menschen auch dann unerfreulich, wenn jemand nur selbstbezogen und wenig empathisch ist. Das oberflächliche Charisma nutzt sich schnell ab. Narzissten treiben ihre Partner oder Freunde raffiniert in Abhängigkeiten und werten sie später ab, bis die sich selbst die Schuld an zwischenmenschlichen Problemen geben und ihre Selbstbewusstsein verlieren. Je tiefer man in ihren Sog hineingerät, desto schwieriger wird es, sich zu trennen. Ob als Partner oder Chefin – wer bei neuen Bekanntschaften nicht sicher ist, sollte auf ein paar Warnsignale achten:
Ich bin erfolgreich, genial und großartig
Narzisstische Menschen reden vor allem von sich selbst. Ihre Lieblingsthemen sind ihre eigenen Erfolge. Sie tun gerne und wiederholt kund, wie großartig, schlau, genial und besonders sie sind, um bestätigt zu werden. Sie nehmen sich wichtig, haben Allmachtsfantasien, fordern Aufmerksamkeit und erwarten Beifall. Bleibt der Applaus aus, reagieren sie gelangweilt. Bei Widerspruch werden sie aggressiv. Man kann viel Zeit mit ihnen verbringen, ohne dass sie sich für ihr Gegenüber interessieren oder sich in andere hinein versetzten können. An Empathie fehlt es ihnen komplett.
Schweigen, strafen, Schuld zuweisen
In Partnerschaften verhalten sie sich eifersüchtig, sind Kontrollfreaks und reagieren bei Kleinigkeiten überempfindlich. Es geht ihnen selten um Inhalte, sondern vor allem darum, ein Machtgefälle aufzubauen und zu erhalten. Dafür nutzen sie manipulative, oft grausame Maßnahmen. Sie können zum Beispiel zur Strafe schweigen, Bagatellen hochspielen, beleidigend werden, den anderen ignorieren, einfach verschwinden oder eine angeblich notwendige Auszeit fordern, bis ihr Opfer macht, was es soll. Auch das Instrument der Schuldzuweisung beherrschen sie perfekt. Wenn etwas schiefgeht (sie zum Beispiel selbst Fehler gemacht haben), sind die anderen schuld. Manche Narzissmus-Typen rücken sich selbst in die Opferrolle. Sie setzen gerne vermeintlich gefühlvoll Tränen ein. Allerdings nicht, weil sie sich tatsächlich als Opfer sehen, sondern um eine Rechtfertigung für ihr schlechtes Verhalten zu haben und Verständnis zu fordern statt Widerspruch zu ernten. Gerne werden dann zum Beispiel Erlebnisse aus der Kindheit mit schlimmen Eltern angeführt, die vermeintliche Schwächen erklären und Mitleid wecken sollen.
Ausbeuterische Beziehungen
Narzissten suchen sich ihre Freunde und Bekannten nicht unbedingt nach Sympathie aus. Sie fragen sich vielmehr, wer ihnen nützen könnte. Andere sind Mittel zum Zweck. Finden sie ein Opfer, das ihnen dafür passend erscheint, sind sie schnell zur Stelle, bieten sich an und geben sich interessiert. Sie laden zum Beispiel ungewöhnlich schnell jemanden ein oder schlagen gemeinsame Aktivitäten vor. In Beziehungen wollen sie früh zusammenziehen, gemeinsame große Anschaffungen tätigen, heiraten, eventuelle auch Kinder bekommen, um sich fester zu binden und andere abhängig zu machen.
Schlecht reden über Verflossene
Erweisen die Auserwählten sich dann doch nicht als brauchbar, werden sie bald abserviert. Diesen Charakterzug erkennt man unter anderem daran, dass Narzissten auffällig schlecht über Leute reden, mit denen sie mal zusammen oder befreundet waren. Über Verflossene wird vor allem gelästert. In der Anfangsphase dient das auch dazu, sich neue Menschen an Land zu ziehen und sie für sich einzunehmen („im Vergleich zu meiner Ex bist du wirklich phantastisch“). Manchmal tun sie neuen Bekannten auch unverhältnismäßig große Gefallen, kommen plötzlich mit Geschenken oder opfern sich regelrecht auf. Ohne es auszusprechen, haben sie natürlich bereits Gegenleistungen im Kopf, die sie später bei Bedarf abrufen können („weißt du noch, wie ich für dich …“).
Nachtragend, rachsüchtig, neidisch
Auch wenn es aus der Sicht ihres Gegenübers nur Kleinigkeiten sind, fühlen Narzissten sich schnell angegriffen. Sie vergessen keine Kritik und tragen es lange nach, wenn jemand etwas gegen sie sagt. Geht ihnen das wirklich nahe, muss man mit Rache rechnen. Das reicht vom Beleidigtsein und Angst-Einjagen übers Lächerlichmachen und Abwerten bis zum Drohen oder Stalken. Ebenfalls auffällig ist ihr übermäßiger Neid. Narzissten können es nicht ertragen, wenn andere besser oder erfolgreicher sind als sie selbst. Das sprechen sie natürlich nicht aus, geben es aber in Aussagen wie „Ich verachte diese Leute“ oder „Die können ja nichts“ preis. Gleichzeitig sind sie überzeugt, dass andere neidisch auf sie sein müssen – vor allem nach Kritik („kein Wunder, wenn der mich nicht treffen will, der muss ja neben mir vor Neid erblassen“). Ein weiteres Warnzeichen: Narzissten gehen selbstverständlich davon aus, dass sie bevorzugt werden. Sie stehen schließlich über normalen Menschen, sind etwas Besonderes und reihen sich nicht ein.
Einfach fragen: Sind Sie ein Narzisst?
Um herauszufinden, ob jemand ein Narzisst ist, empfiehlt der Psychologe Brad Bushman von der Ohio State University in Columbus eine Frage als Test. „Ich bin ein Narzisst. Wie sehr stimmen Sie dieser Aussage zu?“ Die Befragten dürfen ihre Selbsteinschätzung auf einer Skala von eins (stimme nicht zu) bis sieben abgeben (stimme vollends zu). Was dabei herauskommt, ist den Ergebnissen der sonst üblichen Standardtests mit 40 Fragen ziemlich ähnlich. „Wer ist denn so blöd und gibt sein fieses Wesen auch noch offen zu?“, lautet die naheliegende Frage. Das Entlarvende: Solche Fragen stellen sich für Narzissten gar nicht. Denn sie sind stolz darauf und sehen ihre Selbstverliebtheit keineswegs als Problem. Schließlich muss man sich ja nicht schämen, wenn man anderen überlegen ist.
Frauen geben sich eher bescheiden und selbstkritisch
Das gilt vor allem für Männer, die zwei Drittel der Betroffenen ausmachen. Narzisstische Frauen sind zwar auch sehr selbstbezogen und perfektionistisch, treten aber eher zurückhaltend, ängstlich oder depressiv auf. Sie geben sich bescheiden als engelsgleiche selbstlose Helferinnen, gieren aber nach Anerkennung und sind regelrecht fixiert auf lobendes Feedback. Bis ihre Fassade bröckelt, zeigen sie sich fürsorglich und mitfühlend. Hat ihr Gegenüber ihre dunkle Seite erkannt, werden sie unangenehm, versuchen ihre Macht (oft über die Opferrolle oder indem sie sich selbst abwerten) zu erhalten. Einerseits sind sie selbstkritisch, andererseits werden sie wütend, wenn jemand sie kritisiert. Die Schuld für Misserfolge schieben sie dann anderen in die Schuhe. Insbesondere als Mütter geben Narzisstinnen sich nach außer perfekt, sind aber für ihre Kinder eine enorme Belastung. Dieser sogenannte verdeckte Narzissmus tritt vor allem bei Frauen auf und wird deshalb auch weiblicher Narzissmus genannt.
Mit Größenwahn Selbstzweifel überspielen
Früher glaubte man, dass narzisstische Störungen tatsächlich mit großem Selbstwertgefühl einhergehen. Neue Studien zeigen aber das Gegenteil. Das übertriebene Selbstbewusstsein mit Größenwahn dient dazu, Zweifel an sich selbst zu überspielen. Die Betroffenen haben sich eine Fassade aufgebaut, um sich vor weiteren Verletzungen zu schützen. Das krankhafte Verhalten kann verschiedene Ursachen haben. Zum einen haben die Gene einen Einfluss, zum anderen spielt auch die Umwelt eine Rolle. Häufig geht Narzissmus mit anderen Persönlichkeitsstörungen einher. Manchmal liegen die Wurzeln auch in der Kindheit. Traumata und emotional kalte Eltern gelten ebenso als Ursache wie Mütter und Väter, die keinerlei Grenzen setzen, ihren Nachwuchs vergöttern und ihm den Umgang mit Enttäuschungen nicht beibringen. Wenn Kinder zu wenig Anerkennung bekommen, legen sie den Fokus häufig auf Leistungen, für die Erwachsene sie loben.
Klärende Gespräche bringen nichts
Wer Probleme mit Narzissmus bei sich selbst bemerkt, kann sich in einer Psychotherapie helfen lassen und lernen, sein Verhalten zu verstehen und mit negativen Emotionen anders umzugehen, um besser mit anderen klar zu kommen. Das funktioniert aber nur, wenn die Betroffenen es wollen. Meist ist das nicht der Fall, denn sie sind von ihrer Großartigkeit überzeugt. Klärende Gespräche im Sinne von „Du musst dich verändern“ oder „Merkst du denn nicht, wie du anderen weh tust“ bringen nichts. Wohlwollende Hinweise empfinden narzisstische Menschen als Kritik, auf die sie beleidigt, rachsüchtig oder aggressiv, aber nicht einsichtig reagieren.
Auch mit Psychotherapie ist Heilung schwierig
Sie werten selbst ihre Therapeuten ab, um das eigene Überlegenheitsgefühl zu erhalten. Das führt häufig zum Abbruch der Therapie. In der Behandlung kann es lange dauern, Vertrauen aufzubauen. Damit das gelingt, brauchen die Betroffenen kleine erreichbare Ziele. Sie müssen von ihren überhöhten Ansprüchen herunterkommen und lernen, ihre Impulse zu kontrollieren und die eigenen Bedürfnisse zu äußern, ohne andere zu verletzen. Damit kann sich langfristig etwas ändern – zumindest bei einigen Symptomen. Insgesamt ist eine komplette Heilung aber schwer, da die wenigsten Narzissten überhaupt Hilfe suchen – und wenn, dann häufig wegen anderer Störungen wie Depressionen, Alkohol- oder Drogenabhängigkeit.
Schlussstrich ziehen, selbst wenn es schwerfällt
Wer mit einem Narzissten eine Liebesbeziehung eingegangen ist, hofft meist vergeblich darauf, dass „der sich endlich ändert“. Eine gleichberechtigte Partnerschaft kann nur funktionieren, wenn ein Narzisst sich therapeutisch behandeln lässt. Statt Jahre oder Jahrzehnte vergeblich auf Veränderungen zu warten, hilft es ansonsten nur, einen Schlussstrich zu ziehen – auch wenn es sehr, sehr schwerfällt. Wer den Kontakt trotz allem nicht abbrechen will oder kann (zum Beispiel im beruflichen Umfeld), sollte das verletzende Verhalten so weit wie möglich von sich abprallen lassen. Also nicht persönlich nehmen und sich immer wieder klarmachen, dass hinter Angeberfassade ein zutiefst unsicherer Mensch steckt. Im Beruf kann man sachlich Grenzen ziehen („ich höre Sie auch, wenn Sie nicht schreien“) oder einfach schweigen. In einer Partnerschaft ist es hilfreich, selbst professionelle Hilfe in Anspruch nehmen, um zu lernen, wie man – abhängig von der eigenen Leidensfähigkeit – gesichtswahrend mit Narzissten klarkommt. Es geht dann darum, nicht den narzisstischen Partner zu ändern, sondern Strategien zu entwickeln, mit denen man selbstbewusst und rational auf Abstand bleiben kann, ohne sich emotional erpressen zu lassen.
Foto: Clem Onojeghuo auf unsplash.com
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