Graureiher: Ungeliebte Gäste am Gartenteich

Die Vögel sehen elegant aus, haben aber als vermeintliche Fischdiebe ein schlechtes Image

Mitten in Hamburg im Park „Planten un Blomen“ steht ein Graureiher auf einem Stein am flachen Wasser. Mit seinen grauen Federn sieht er aus wie eine Skulptur. Touristen richten sofort ihre Handykameras auf den Vogel mit den grazilen Beinen. Ist das Kunst oder fliegt es gleich weg? Der Reiher scheint erstarrt, macht nicht die geringste Bewegung. Auf den ersten Blick lässt sich die Echtheitsfrage nicht beantworten. Den Hobbyfotografen ist das egal. Hauptsache das Foto ist im Kasten. Denn ob schicke Statue oder toller Vogel – beides macht optisch etwas her. Die Verwackelungsgefahr ist gering. Das ist eine der großen Stärken des Reihers.

Der Dolchschnabel sticht blitzartig zu

Der Graureiher (auch Fischreiher genannt) vom Typ Schreitvogel setzt auf Bewegungslosigkeit und Geduld, wenn er Beute machen will. Am liebsten jagt er Fische in flachen Gewässern. Dabei kann er lange bewegungslos lauern und sich die Fähigkeiten seines s-förmigen Halses zunutze machen. Lautlos durchspäht er das Wasser, verbiegt den Hals, zieht den Kopf ein und fährt ihn rasant wieder aus, wenn Essbares anschwimmt. Fische und andere Wasserbewohner haben schlechte Chancen, wenn er blitzschnell mit seinem dolchartigen Schnabel zuschnappt oder zusticht. Manche Reiherarten gehen dabei besonders trickreich vor: Sie breiten im Wasser ihre Flügel aus, um schattensuchende Beutetiere direkt vor den Schnabel zu locken. Stakst der Reiher durch Wiesen und Felder, sind auch kleine Vögel, Käfer, Mäuse, Maulwürfe und junge Ratten nicht vor ihm sicher. Solange Reiher noch jung sind, haben sie gefährliche Feinde: Sie müssen sich vor Greifvögeln, Füchsen oder Mardern in Acht nehmen.

Beliebtes Kunstmotiv und geschützter Vogel

Weil er so schön aussieht, ist der Reiher ein beliebtes Kunstmotiv. Ansonsten sorgt er aber bei Menschen im Gegensatz zum beliebten Storch nicht unbedingt für Freude. Angler und Fischer sehen ihn als Konkurrenten, Teichbesitzer als Fischdieb. In der Nähe von Teichen und Fischaufzuchtanlage ist und bleibt er ein ungeliebter Gast. Wer einen flugunfähigen Reiher findet und ihn zum Tierarzt bringt, erfährt häufig: Der Vogel wurde angeschossen. In den siebziger Jahren waren die Tiere deshalb vom Aussterben bedroht; inzwischen haben die Bestände sich erholt. Dennoch gehören Reiher zu den geschützten Vögeln. Sie einfach zu töten, ist nicht nur verboten, sondern aus Sicht von Tierschützern auch völlig unangemessen und unnötig.

Nützliche Eigenschaft für die Natur

Denn es ist nicht schwer, die vermeintlichen Schädlinge von Zuchten fernzuhalten. Der österreichische Tierpsychologe und Verhaltensforscher Otto Koenig (1914 bis 1992) fand heraus, dass die weitverbreitete Vorstellung von einer Fischereischädlichkeit der modernen wissenschaftlichen Erkenntnis nicht standhält. Dafür gibt es verschiedene Argumente. Zum einen spielt die Tiefe eines Gewässers eine Rolle. Mehr als 50 Zentimeter tief kommt ein Reiher mit seinem Schnabel nicht. In den oberen zehn Zentimetern, die er erreicht, holt er sich nur Fischarten, die für die Zucht ohnehin unwichtig sind. Ansonsten hat der Reiher auch nützliche Eigenschaften für das Gleichgewicht in der Natur.

Reiherschreck: Vertreiben, ohne zu schaden

Statt zu Waffen zu greifen, müssen Teichbesitzer kreativ werden und die großen Vögel vertreiben, ohne ihnen zu schaden. Weil man davon ausgeht, dass Reiher lieber an Gewässern ohne Artgenossen auf Futtersuche gehen, können Reiher-Attappen sie verscheuchen. Solche Statuen sind durchaus dekorativ, wirken aber nicht bei jedem. Ein sogenannter Reiherschreck spritzt – in Kombination mit einem Bewegegungsmelder – Wasser aus einem Schlauch oder einer Spritzpistole oder lässt ein Signal ertönen, sobald ein Graureiher im Anflug ist. Auch Lichtereflexe sollen die Tiere abschrecken. Die lassen sich mit schwimmender Alufolie oder speziellen Bällen im Wasser erzeugen. Spiegelnde Kreisel, die am Ufer aufgehängt werden, erfüllen ebenfalls diesen Zweck. Eine andere Möglichkeit: Da Reiher gerne im flachen Wasser am Rand des Gartenteichs landen, kann man ihnen die Landebahn verbauen und Steine, Töpfe oder Skulpturen um die Wasserfläche platzieren. In manchen Fällen hilft auch ein niedriger Zaun ums Wasser herum oder ein grobmaschiges Drahtnetz auf der Wasseroberfläche.

Fischreiher bevorzugen Flachland-Gewässer

Je nach Art wird der Graureiher mit seinem weiß-schwarz-braun-grauen Gefieder (lateinischer Name Ardeidae) 30 bis 140 Zentimeter groß, bis zu 25 Jahre alt und bis zu vier Kilo schwer. Seine ursprüngliche Herkunft ist nicht bekannt; heute lebt er fast auf der ganzen Welt verteilt (nur nicht in der Antarktis) in der Nähe von stehenden oder fließenden Gewässern und Sümpfen. Im Gebirge findet man ihn nur selten. Ein Teil der Population sind Zugvögel, die im Flug bis zu 50 Stundenkilometer erreichen. Zu Reiher-Familie gehören insgesamt 62 Arten. Ab dem zweiten Lebensjahr werden die Tiere geschlechtsreif und paaren sich zwischen März und April, um einmal im Jahr bis zu fünf Eier zu legen. Die Brutzeit dauert zwei bis vier Wochen.

Riesennester in hohen Bäumen

Beim Brüten ist der Reiher gerne in Gesellschaft. Er baut hoch oben in Wipfeln von Laub- und Nadelbäumen bis zu einen Meter große Nester in Kolonien – am liebsten in den Nestern des Vorjahrs, die er nur noch ausbessern muss. Der Anblick von bis zu hundert wackelig wirkenden Behausungen ist beeindruckend, aber nicht überall willkommen. Bauen die Vögel zum Beispiel ausgerechnet über einem Friedhof, ist Ärger vorprogrammiert. In der Brut- und Nistzeit machen die grazilen Gestalten Tag und Nacht Krach und Dreck. Nicht auszuschließen, dass während einer Beerdigung nicht nur Baumaterial und Vogelkot von oben kommt, sondern auch Essensreste oder Jungvögel, die aus dem Nest fallen. Nachwuchs, der die ersten Wochen schafft, wird schnell groß und ist bereits nach sieben bis acht Wochen flügge.

Aasgeruch während der Brutzeit

Bis dahin ist es aber ein schwerer Weg, denn die Kleinen haben es am Anfang ihres Lebens nicht leicht. Nicht nur Stürze aus großer Höhe enden für sie tödlich. Auch im Nest sind sie nicht sicher. Reihereltern versorgen ihre Jungen, indem sie die Beute zunächst in den Schnabel der Kleinen erbrechen. Später wird dann sprichwörtlich auf den Boden oder auf die Nestränder gereihert. Wer nicht schnell genug ist, geht leer aus. Von fünf Vögelchen überleben im Durchschnitt nur drei. In dicht bebauten Reiherwald-Kolonien erkennt man die Brutzeit am Aasgeruch.

Foto: Albert/Adobestock

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