Nele Sehrt

Himmel oder Hölle? Liebe in Zeiten der Pandemie

Psychologin und Autorin Nele Sehrt über Beziehungen und Familienleben in der Krise

Wie gehen wir als Paar mit den Coronaregeln um? Was hilft Eltern mit kleinen Kindern im Homeoffice? Und wie lässt sich die Krise als Chance nutzen? „In unruhigen Zeiten konzentrieren wir uns vor allem auf die Familie und unsere Partnerschaft“, sagt Nele Sehrt, Diplom-Psychologin und Buchautorin („Liebe passiert, Beziehung ist Arbeit – wie eine gute Partnerschaft gelingt“). Ihre Erfahrung: Je nach Blickwinkel kann die Liebe in der Pandemie himmlisch oder höllisch werden. Ein Interview mit der Hamburger Beziehungs-Expertin über Pandemie-Probleme und Lösungen.

Wie wirkt sich Corona auf die Partnerschaft aus?

Krisen wie die Pandemie führen natürlich bei vielen Paaren zu Problemen. Das merke ich in meiner Praxis fast täglich. Was daraus entsteht, ist aber höchst unterschiedlich. Manche wollen sich trennen; andere erkennen in der Krise eine Chance. Das ist immer eine Frage der Perspektive und des persönlichen Stressmanagements.

Wie entstehen typische Probleme?

Eine Krise intensiviert menschliches Verhalten. Ob bei Verletzungen, unter Stress oder anderen Bedrohungen – wir zeigen unweigerlich deutlicher, wer wir sind und wie wir mit Dingen umgehen. Die Pandemie ist also ein Risikofaktor, aber kein alleiniger Auslöser. Häusliche Gewalt zum Beispiel war meist schon vorher da und wird jetzt verstärkt. Wer zu Aggressionen neigt, wird noch wütender. Ängstliche Leute fürchten sich mehr. Trotzdem gibt es eine große Gemeinsamkeit: Wenn die Welt draußen am Boden liegt, ziehen wir uns in unsere Partnerschaft beziehungsweise zu unserer Familie zurück und suchen Nähe.

Um welche Themen wird gekämpft?

Die Auslegung der Coronaregeln ein großes Thema. Der eine sieht die Masken- und Abstandsregeln eher locker, der andere möchte sie penibel einhalten. Der eine sucht ständig nach neuen Informationen, die seine Meinung bestätigen. Der andere hat die Nase voll davon. Einer möchte den anderen überzeugen. Da kommt es schnell zu nervenaufreibenden Diskussionen, die die Lust aufeinander nicht unbedingt fördern.

Was hilft bei solchen unterschiedlichen Auffassungen?

Jeder Partner sollte sich klarmachen, was ihn stresst. Wenn ein Thema immer wieder zu Konfrontationen führt und man sich für die eigene Ansicht erklären muss, ist das unglaublich anstrengend. Dann kann es viel wichtiger sein, wieder herunterzukommen als vermeintliche Wahrheiten zu finden. Die Lebensqualität verbessert sich enorm, wenn der Stresspegel sinkt.

Das heißt im konkreten Fall?

Ein Paar, das mit hohem Leidensdruck in meine Praxis kam, konnte wieder besser miteinander umgehen, als der Mann, der keine Masken mochte, sich das bewusst machte und Situationen mied, in denen seine Wut zwangsläufig hochkochte. Er ging nur noch draußen auf dem Wochenmarkt einkaufen, öfters mal joggen und entrümpelte den Keller.

Welche Paare kommen gut durch die Krise?

Das sind meistens die, die die Ruhephase zu zweit zu schätzen wissen, unsichere Zustände aushalten und Lösungen finden. Ein Paar kann die neu gewonnene Zeit so miteinander gestalten, dass jeder auf sich selbst achtet, ohne den anderen dabei zu vergessen. Oft reicht es, sich ein bisschen mehr Mühe zu geben und herauszufinden, wie es einem selbst und dem Partner wirklich geht. Paare, die klärende Gespräche führen können, sind im Vorteil.

Das ist mit Kindern meist nicht so einfach?

Eltern im Homeoffice, kleine Wohnung, drei Kinder – junge Familien haben es zweifellos besonders schwer. Denen kann ich nur raten, überhöhte Ansprüche abzulegen. Man darf auch mal sagen, dass es einem scheiße geht. Und es darf auch dem Partner scheiße gehen, einem selbst aber gut. Da kann es hilfreich sein, sich abzugrenzen und sich vielleicht sogar etwas weniger verantwortlich zu fühlen. So hat der Partner Zeit, sich selbst zu regulieren. Eine schöne Frage lautet: „Hilft es dir, wenn ich mich mit ärgere oder soll ich dich lieber in Ruhe lassen?“

Worauf kommt es im Alltag an?

Macht Schluss mit dem Perfektionismus und fragt euch: Was ist wirklich wichtig? Wir müssen essen, schlafen, aufs Klo gehen und ein warmes Dach über dem Kopf haben. Wenn es Eltern gelingt, diese Grundbedürfnisse zu erfüllen und so für sich selbst zu sorgen, dass die Kinder mitziehen, schaffen sie das. Mehr muss in diesen Zeiten gar nicht sein. Wir lernen alle dazu und müssen nicht immer gleich wissen, was richtig ist. Das können weder Eltern noch Kinder.

Manche Eltern befürchten, der Familie zu schaden?

Dafür gibt es keinen Grund. Wenn Kinder verunsichert sind, liegt das oft eher daran, dass sie ihre Eltern in Sorge über ein offenbar unlösbares Problem erleben, und nicht zwingend am Problem selbst. Viele Erwachsene erinnern sich gerne an die Momente in ihrer Kindheit, in denen etwas mal nicht perfekt funktionierte. Zum Beispiel, wenn zu Hause der Strom ausfiel, es überall dunkel war und alle in einem Bett schliefen. Dann wurde es zum Abenteuer, nachts zusammen den Weg zur Toilette zu finden. Es tut Kindern so gut, diese kümmernde Nähe zu spüren, dass sie das oft ein Leben lang nicht vergessen.

Ist die Krise wie ein längerer Stromausfall?

Ein bisschen, wenn man mit Energie und Kreativität etwas daraus macht. Familien und Paare können einen neuen Alltag schaffen, in dem weniger mehr ist. Corona ist auch eine Einladung zum Wachsen. Das hört sich erst einmal komisch an – nach dem Motto „Jetzt soll ich auch noch wachsen, wo ich doch sonst schon genug zu tun habe“. Wachsen darf in diesem Fall kein Zwang sein. Es heißt, dass wir lernen, in uns hinein zu horchen, die eigenen Gefühle wahrzunehmen und anderen mitzuteilen. Wenn das gelingt, kommt die Lust zum Wachsen von allein.

Was erleichtert das Durchhalten?

Oft ist es hilfreich, das Ganze mal mit ein bisschen Abstand von einer Metaebene zu betrachten, statt sich auf Alltagsprobleme zu fokussieren. Das Leben verläuft in Phasen. Irgendwann ist die Pandemie zu Ende. Wäre doch schön, wenn wir dann sagen können: In dieser Zeit haben wir als Paar gelernt, besser miteinander umzugehen. Oder wenn die Kinder sich später gerne erinnern („das war der Winter, in dem wir uns die Höhle gebaut haben und alle in einem Zimmer schlafen durften“). Für die Frage „Sollen wir uns trennen?“ ist das kein guter Zeitpunkt. Darüber kann man immer noch nachdenken, wenn die Krise vorbei ist.

Foto: Claudia Timmann/ZS-Verlag

Buchtipp

Nele Sehrt: Liebe passiert, Beziehung ist Arbeit – Wie eine gute Partnerschaft gelingt (ZS Verlag, 16,99 Euro)

DAS KÖNNTE SIE AUCH INTERESSIEREN

Gute Erziehung: So werden Kinder zu Optimisten

Lust auf Sex: Er mag es morgens, sie lieber abends

Finde ich auf Dating-Portalen die Liebe fürs Leben?

Meine Wut macht mich rasend: Wie bleibe ich gelassen?

Partnerschaft: Wie das Thema Geld die Liebe zerstört