Revierdoc Matthias Manke: Wenn der Orthopäde Rücken hat

Facharzt gibt Tipps aus eigener Erfahrung: Nach einem Bandscheibenvorfall wieder schmerzfrei

Dr. med. Matthias Manke, bekannt als Revierdoc, kämpfte nach einem Bandscheibenvorfall gegen höllische Schmerzen. Aus seinem Fachwissen als Arzt und seinen persönlichen Erfahrungen als Patient entwickelte er ein Therapieprogramm, über das er ein Buch geschrieben hat. Seine Behandlungsmethoden sind etwas anders als die meisten erwarten, aber höchst effektiv. Ein Interview mit dem Wattenscheider Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie über hilfreiche Bierkästen, Beckenbodentraining, Bewegung, Sex und Erleuchtung statt Durchleuchtung.

Es ist noch nicht lange her, da lagen Sie zusammengekrümmt auf dem Fußboden in Ihrer Praxis und weinten vor Schmerz. Was war passiert?

Ich hatte einen Bandscheibenvorfall mit Nervenwurzelreizung. Das wusste ich allerdings nicht sofort. Wegen der Symptome ahnte ich es, aber die Vorstellung, schlimmstenfalls ein Pflegefall zu werden, war so schrecklich, dass ich erst einmal versuchte, es zu verdrängen. Das wird schon wieder, dachte ich. Dieser Wahnsinnsschmerz verschwindet bestimmt von allein.

Tat der Schmerz Ihnen diesen Gefallen?

Leider nicht. Ich musste mich im Rollstuhl abtransportieren lassen, war pflegebedürftig und konnte nicht mal mehr allein zur Toilette. Ich bin ja eigentlich ein Kerl wie ein Baumstamm, nun war ich zerbrechlich wie ein Grashalm. Es war ein langer harter Weg und dauerte mehr als ein Jahr, bis ich mich wieder richtig bewegen konnte.

Was machte den Weg so beschwerlich?

Wenn der Orthopäde Rücken hat, geht‘s ihm nicht besser als seinen Patienten. Unter Umständen sogar noch schlechter. Ich war Betroffener und Orthopäde, also ein Spezialist für den Bewegungsapparat. Dazu kommt: Ich bin Kassenarzt. Meine Praxis ist ein Wirtschaftsunternehmen.

Stand das auf der Kippe?

Zum Glück nicht, ich hatte aber große Angst davor. Für mich war klar: Wenn der Schmerz bleibt, kannst du deine Zukunft vergessen. Du wirst keinen Spaß mehr am Leben haben. Die Kunst des Kassenarztes besteht darin, bei allen Reglementierungen noch ein perfektes Zeitmanagement zu fahren und den Patienten effektiv zu helfen. Wenn der Helfer selbst hilflos wird, spitzt sich die Lage zu. Ich musste meine Praxis so schnell wie möglich weiterführen und mir nebenbei selbst helfen.

Wie haben Sie das gemacht?

Ich bin Kämpfer und Optimist. Ich habe sehr viel getan. Man darf keine Wunder erwarten, sondern muss sich seine Wunder erarbeiten. Angefangen habe ich mit der Stufenlagerung, also die Beine auf einen Bierkasten mit Kissen legen und warten, dass der Schmerz nachlässt. Ich habe Schmerzmittel genommen, eine Art Rückenpanzer getragen, mich gewärmt, auf Krücken gestützt, mich durchrütteln lassen und mich bewegt, sobald es wieder einigermaßen ging. Ich wollte alles, nur keine Operation.

Warum nicht?

Als echter Revierler bin ich ehrlich und direkt: Welcher Orthopäde würde freiwillig einen Kollegen am Rücken herumschnibbeln lassen? Nah am Rückenmark mit allen möglichen Komplikationen? Ich kenne keinen. Trotz meiner Beschwerden hatte ich keine Symptome, die eine Operation gerechtfertigt hätten. Warum also unnötig ein Risiko eingehen?

Wann waren Sie auf dem Weg der Besserung?

Ich bin zur Krankengymnastik gegangen, habe selbst Übungen und vor allem Beckenbodentraining gemacht. Obwohl ich erst skeptisch war, erwies sich das als Zaubermittel. Frauen machen es oft nach der Entbindung. Oder es wird als Maßnahme gegen Inkontinenz empfohlen. Es gehört aber zum Beispiel auch für unsere Top-Athleten am Olympiastützpunkt zum Trainingsprogramm.

Warum ausgerechnet Beckenboden?

Bei einem Bandscheibenvorfall werden die kleinen Muskeln, die die Wirbelsäule stabilisieren, nicht mehr richtig angesteuert. Das Training bringt diesen Mechanismus wieder in Fahrt. Für mich kam dazu: Ich konnte es ohne zusätzlichen Zeitaufwand zwischendurch machen. Und zwar nicht nur in der Praxis, sondern auch unterwegs.

Wie darf man sich das vorstellen?

Ich war seinerzeit Mannschaftsarzt auf Schalke. Wenn ich da auf der Teambank saß, wirkte ich immer etwas angespannt, was ich im wahren Sinne des Wortes auch war. Allerdings hatte das nichts mit dem Spiel zu tun. Ich arbeitete still und heimlich bei jeder erdenklichen Gelegenheit an meinem Beckenboden. Das hat sich gelohnt. Trotz aller Rückschläge wurde ich tatsächlich schmerzfrei und konnte mein Leben wieder genießen.

Sie sind selbst Arzt. Wie konnte es überhaupt soweit kommen?

Mir ging es nicht anders als vielen Rückenschmerzpatienten. Ich war in der Rushhour meines Lebens. Das machte mir große Freude und brachte viele Erfolge. Studium, Nachtschichten, Beruf, Familie, Kinder, Hauskauf, Hypotheken, eigene Facharztpraxis – um allem gerecht zu werden, habe ich mich selbst vernachlässigt. Habe häufig lieber schnell unseren Revier-Fruchtteller mit Currywurst-Pommes-Mayo verdrückt als selbst Gemüse zu kochen und mir immer wieder neue Herausforderungen gesucht statt mal zurückzuschrauben.

Kann man vorbeugen?

Eine gute Behandlung fängt schon an, bevor es einen erwischt. Gesunde Ernährung, regelmäßige Bewegung, gezielte Entspannung – all die Dinge, die wir gerne vernachlässigen, sind Wohltaten für die Wirbelsäule. Auch wenn der Schmerz schon da ist, gibt‘s viele lindernde Möglichkeiten, die sogar Spaß machen: Massagen, Wärme, passende Matratzen oder Akupunktur. Auch Sex ist übrigens prima, denn dabei bewegt man sich zumindest ein wenig, während der Körper schmerzlindernde Botenstoffe ausschüttet. Allerdings ersetzt nichts davon Sport und Bewegung.

Was ist das Wichtigste bei der Therapie?

Man sollte die Zusammenhänge erkennen und bereit sein, selbst etwas zu tun. Ich nenne das Erleuchtung statt Durchleuchtung. Patienten müssen sich bewegen und hochmotiviert mit ihrem Arzt zusammenarbeiten statt auf MRT-Bilder zu hoffen, die irgendeine Krankheit bestätigen. Für 80 Prozent aller Rückenschmerzen gibt es keine Erklärung, die sich mit den radiologischen Verfahren identifizieren lässt.

Was sind Sünden für den Rücken?

Letztendlich muss jeder für sich entscheiden, was gut für seinen Rücken ist. Man sollte aber drei Todsünden meiden: Nur auf der Couch sitzen, Chips essen und dabei aufs Handy starren. Also Bewegungsmangel, Fettleibigkeit und Zwangshaltung.

Buchtipp: Wenn der Orthopäde Rücken hat – Der etwas andere Ratgeber für Rückenschmerzpatienten und alle, die‘s nicht werden wollen, ZS Verlag, 220 Seiten, 19,99 Euro

Foto:©Michael Wilfing

 

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