Die Ernährungs-Docs im Interview: So bringt gesundes Essen die Abwehr auf Zack
Der Herbst ist da. Die nächste Grippewelle droht. Immer mehr Menschen stellen sich die Frage, wie man sinnvoll gegen Viren und Bakterien vorbeugen kann. Neben Hygiene- und Abstandsregeln ist eine abwehrstärkende Ernährung der Schlüssel zum Erfolg, wie die Ernährungs-Docs in ihrem Buch „So stärken Sie Ihr Immunsystem“ erklären. Im Interview fassen Anne Fleck, Jörn Klasen, Matthias Riedl und Silja Schäfer die wichtigsten Maßnahmen zusammen.
Immunsystem – was ist das eigentlich genau?
Silja Schäfer: Dabei handelt es sich um ein komplexes Netzwerk aus Organen, Zellen und Molekülen, die verhindern, dass Erreger in den Körper eindringen oder sich im Körper ausbreiten und somit Schaden anrichten können. Sind die Widerstandskräfte stark, werden wir seltener krank, beziehungsweise verlaufen Krankheiten milder. Ein fittes Immunsystem schützt vor Ansteckung und erhöht die Heilungschancen.
Jörn Klasen: Der Darm ist ein schlagkräftiges Organ gegen Infekte. Seine Bedeutung ist in den letzten Jahren immer besser erforscht worden. Hier sitzen etwa 70 Prozent aller Immunzellen. Wir wissen inzwischen, dass ein gesundes Mikrobiom, also die Vielfalt aller Darmbakterien, das Immunsystem leistungsfähiger macht.
Matthias Riedl: Wenn Erreger zum Beispiel beim Atmen in den Körper gelangen, produzieren die Abwehrzellen Schleim, der die Angreifer aufhält. Feine Flimmerhärchen befördern Feinde in den Rachen, damit sie schnell in den Magen gelangen und dort vom Magensaft zerstört werden.
Anne Fleck: Auch Husten unterstützt das Immunsystem. Er ist dabei keine eigenständige Erkrankung, sondern ein natürlicher Schutzreflex, um Fremdkörper mit Wucht loszuwerden. Husten tritt vor allem dann auf, wenn die Flimmerhärchen vorgeschädigt sind. Häufig trifft das Raucher, aber auch Menschen mit Atemwegserkrankungen.
Wie sieht eine abwehrstärkende Ernährung aus?
Anne Fleck: In erster Linie pflanzlich, bunt und gesund. Essen Sie vor allem frisches Gemüse und Obst, während Sie Fastfood, Fertiggerichte und andere verarbeitete Lebensmittel meiden sollten. Reduzieren Sie gegebenenfalls Ihren Fleischkonsum. Das gilt vor allem für verarbeitetes Fleisch. Einmal in der Woche ist genug. Auch Zucker und Alkohol sollten Sie nur in kleinen Mengen genießen.
Silja Schäfer: Gemüse, Obst, Kräuter, Gewürze, Nüsse und Vollkornprodukte enthalten sekundäre Pflanzenstoffe, die den Pflanzen als Abwehr-, Duft-, Farb-und Geschmacksstoffe dienen. Wenn wir pflanzliche Lebensmittel essen, nehmen wir diesen wichtigen Schutz gleich mit auf und stärken die Abwehrzellen.
Matthias Riedl: Untersuchungen haben gezeigt, dass vor allem Fastfood auf den Körper wie eine Infektionskrankheit wirkt. Unser Immunsystem empfindet leere Kohlenhydrate in Kombination mit ungesundem Fett als Angriff, vor dem es den Organismus schützen muss. Zu viel Salz, Farb-, Süß- und Zusatzstoffe, Emulgatoren und Stabilisatoren, wie sie häufig in Fertiggerichten verwendet werden, belasten unnötig.
Jörn Klasen: Es ist wenig bekannt, dass auch Ballaststoffe die Abwehr auf Zack bringen. Denn sie wirken über den Darm nicht nur als Sattmacher, sondern auch als Powerstoffe für die Darmflora und die Darmschleimhaut, die wiederum das Immunsystem unterstützen.
Wer ist besonders gefährdet?
Matthias Riedl: In erster Linie trifft es ältere und chronisch kranke Menschen. Das hat sich auch in der Coronakrise gezeigt. Wer bereits durch eine Krankheit geschwächt ist, wird leichter Opfer von Viren und Bakterien.
Anne Fleck: Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, Atemwegserkrankungen wie Asthma oder die Lungenkrankheit COPD erhöhen das Risiko. Da sie im Alter häufiger auftreten als in jungen Jahren, gehören Senioren zur gefährdetsten Gruppe.
Silja Schäfer: Das heißt aber nicht, dass Jüngere automatisch geschützt sind. Wir dürfen nicht vergessen, dass etwa 45 Prozent aller Deutschen bereits mit 45 Jahren chronisch krank sind. Infektionen wie Covid-19 können auch bei jungen und vermeintlich gesunden Menschen schwer oder sogar tödlich verlaufen.
Jörn Klasen: Nicht zu vergessen: Auch bestimmte Medikamente wie zum Beispiel Immunsuppressiva können die körpereigene Abwehr schwächen. Antibiotika haben einen negativen Einfluss auf die Darmflora. Solche Medikamenten lassen sich leider nicht einfach vermeiden, aber die Patienten müssen sich dessen bewusst sein.
Inwiefern spielen die Selbstheilungskräfte eine Rolle?
Anne Fleck: Unser Abwehr profitiert nicht nur von einer artgerechten Ernährung. Auch der Lebensstil stärkt das Immunsystem. Es lohnt sich, den Umgang mit Stress zu verbessern und gezielte Entspannungsmethoden zu lernen. Das aktiviert die Selbstheilungskräfte, gibt Selbstvertrauen und hilft gegen Ängste.
Matthias Riedl: Wer seine Widerstandskraft stärken will, sollte auch auf die Schlafqualität und auf einen festen Lebensrhythmus mit täglich sechs bis acht Stunden Nachtruhe achten. Es ist bekannt, dass zum Beispiel das Mikrobiom sich ungünstig verändert, wenn man unregelmäßig schläft.
Jörn Klasen: Auch das Sonnenlicht spielt eine wichtige Rolle. Bei zu wenig Sonne kommt es leicht zu einem Vitamin-D-Mangel, der die Abwehr schwächt. Ältere, kranke und lichtempfindliche Menschen, die nicht viel nach draußen kommen, sollten Vitamin D eventuell als Nahrungsergänzungsmittel nehmen.
Silja Schäfer: Bewegung hält das Immunsystem jung und fit. Wer Sport treibt, hat weniger entzündungsfördernde Botenstoffe im Körper, einen niedrigeren Blutzuckerspiegel und leidet seltener unter Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Depressionen. 150 bis 300 Minuten körperliche Aktivitäten pro Woche reichen als Fitmacher fürs Immunsystem aus.
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Foto: Claudia Timmann
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