Wohnungen im Erdgeschoss sind besser als ihr Ruf

Wer ebenerdig mieten oder kaufen will, sollte die Vorteile auf den zweiten Blick beachten

„Suche dringend Wohnung, bitte kein Erdgeschoss!“ Solche Anzeigen tauchen häufig auf. Wer ein Zuhause im untersten Stockwerk eines Mehrfamilienhauses zu vergeben hat oder einen Nachmieter stellen will, hört oftmals sofort: „Bloß nicht!“ Leben ohne Abstand zum Boden hat einen schlechten Ruf. Vor allem Frauen wohnen nicht gerne ganz unten. Häufig kommt es gar nicht erst zu einer Besichtigung. „Da kann einem ja jeder reingucken“ – „Im Parterre ist es laut, dunkel, kalt und feucht“ – „Eine Einladung an Einbrecher“ – die Argumente sind einleuchtend, aber immer eine Frage der Perspektive. Denn die Vorteile von Erdgeschosswohnungen werden dabei schnell übersehen.

Das beste Stockwerk im ganzen Haus

So kommt niemand auf die Idee, dass sich fast alle Nachteile mit baulichen oder dekorativen Maßnahmen so verbessern lassen, dass das unterste Stockwerk möglicherweise das Beste im ganzen Haus wird. Immobilienfachleute weisen gerne darauf hin, dass die Nachfrage in guten Lagen keineswegs gering ist. Wer in begehrten Gegenden zentral wohnen will, darf demnach nicht erwarten, dass das Erdgeschoss günstiger vermietet oder verkauft wird als höhere Stockwerke; diese Regel gilt allenfalls noch für Souterrainwohnungen, die halb unter der Erde liegen und im Durchschnitt 20 Prozent billiger sind. Gut ausgestattet punktet Wohnraum im Parterre mit vielen Vorteilen, die sich allerdings erst auf den zweiten Blick erschließen.

Nur unten mit Terrasse oder Garten

Der größte Vorteil: Eine Wohnung im Erdgeschoss ist in eng bebauten Stadtlagen die einzige Möglichkeit, ein Zuhause mit Terrasse oder Garten oder beidem zu finden. Das kann kein Balkon in luftiger Höhe ersetzen. Selbst ein kleiner Hinterhof lässt sich zur grünen Oase ausbauen. Manchmal locken auch Vorgärten mit einem Platz im Grünen. Kommt auch noch ein bisschen Sonne hinein, ist das Idyll im Großstadtdschungel perfekt. Im Sommer hat die Wohnung ein Zimmer mehr, das als Terrasse unter freiem Himmel liegt. Oder sie vergrößert sich gleich auf das Doppelte, wenn die Bewohner einen Garten haben.

Von der Kindheit bis ins hohe Alter

Der zweite große Pluspunkt: Eine Parterrewohnung hat das Potential, ein Zuhauses fürs Leben zu werden. Der Weg in die Wohnung ist bestenfalls von Anfang an barrierefrei. Treppen gibt es nicht. Oder stufenloses Wohnen lässt sich später leicht nachrüsten. Ob mit Babywagen, Krabbelkindern, Spielzeugrollern, Minifahrrad, Hund, Rollator oder schweren Einkäufen – der Alltag mit häufigem Rein und Raus ist einfacher. Junge Eltern sind froh, niemanden unter sich zu haben, der sich über Kinderlärm und -getrappel beschwert. Die Hürde, die man überwinden muss, um schnell nach draußen zu gehen, ist niedrig. Oft rauszukommen hält fit, mobil und bereichert das Leben. Das zeigt sich vor allem, wenn die Bewohner älter werden, Gehhilfen brauchen und Treppen nur noch mühsam schaffen. Erdgeschosswohnungen sind in der Regel auch für Rollstuhlfahrer geeignet. In Anbetracht der demografischen Entwicklung wird sich die Nachfrage nach Wohnraum im Parterre künftig verstärken.

Wenig Licht geschickt kompensieren

Ein Argument lässt sich allerdings nicht so einfach schönreden: Je tiefer man wohnt, desto weniger Licht kommt durch. Parterrewohnungen gelten zu Recht als dunkel – vor allem wenn die Umgebung dicht verbaut ist. Doch auch das lässt sich zumindest ein bisschen kompensieren: Bodentiefe Fenster nach außen und großflächige Spiegel drinnen, die das Licht, das hereinkommt, geschickt reflektieren, können schon viel ausmachen. Wer eine ebenerdige Wohnung kauft, kann Fenster nachträglich einbauen, wenn an wichtigen Stellen entsprechend Platz ist. In der Wohnung helfen große Durchbrüche und Türen mit viel Glas. Innenfenster bringen nicht nur mehr Licht, sondern sehen auch sehr schön aus – wenn man sie zum Beispiel beleuchtet oder mit Blumen dekoriert.

Sommerkühl bei Affenhitze

Nicht zu vergessen: Wenig Sonneneinstrahlung heißt auch wenig unerwünschte Wärme. Während Dachgeschossbewohner in den Sommermonaten häufig unter wochenlanger Hitze ächzen, genießen Erdgeschlossler ihr sommerkühles Wohnzimmer. Die Nachteile, die das im Winter hat, lassen sich ausgleichen. Eine Fußbodenheizung, die möglichst in jedem Zimmer einzeln regulierbar ist, verhindert kalte Füße. Mauern, die Feuchtigkeit durchlassen, kann man entsprechend abdichten. Bei Neubauten wird heute auf Energieeffizienz geachtet. Altbauten lassen sich mit einer Wärmedämmung von außen (bei Häusern, die unter Denkmalschutz stehen, auch von innen) schützen. Befindet sich ein Keller im Haus, kann der Boden oder die Kellerdecke gedämmt werden, damit keine höheren Heizkosten entstehen. Mit neuen Dämmstoffen ist auch nachträgliches Dämmen von oben und unten kein Problem. Wer keinen Keller unter sich hat, kann nur den Boden dämmen.

Unten mehr Angriffsfläche

In Sachen Sicherheit sind die Gefahren unten allerdings größer. Zwar werden Wohnungen in höheren Stockwerken von Mehrfamilienhäusern ebenfalls gern von Einbrechern durch die Wohnungstür heimgesucht (oben kommt schließlich seltener jemand vorbei), doch Erdgeschosse bieten mehr Angriffsfläche. Bleiben Türen oder Fenster gekippt oder sind sie nicht gut gesichert, haben Einbrecher leichtes Spiel. Abschließbare Fensterbeschläge, Sicherheitsstangen, hochwertige Schlösser, Rollläden, Alarmanlagen, Gitter oder gepanzerte Türen – im Parterre sollte man in Sicherheit investieren und darf nichts offenstehen lassen. Am besten lässt man sich dabei von der Polizei beraten.

Tageslicht rein, Gafferblicke raus

Von Passanten gesehen zu werden, ist für die meisten keine angenehme Vorstellung. Längst nicht jeder möchte, dass Gaffer sein Privatleben beobachten. Denn viele Leute, die draußen vorbei gehen, blicken ungeniert ins Fenster. Das stört oder lenkt ab, wenn man zum Beispiel im Homeoffice sitzt oder auf dem Sofa entspannt – vom Blick ins Schlafzimmer mal ganz zu schweigen. Ist es draußen dunkel, können Fremde sich einen Überblick verschaffen, ohne selbst gesehen zu werden. Um einen Sichtschutz kommen Erdgeschossbewohner deshalb nicht herum. Abends helfen Vorhänge oder Rollläden. Tagsüber wird‘s schwieriger, denn der Sichtschutz soll möglichst wenig Licht nehmen. Deshalb scheiden blickdichte Gardinen für viele aus. Besser sind Jalousien oder Lamellenvorhänge, die man verstellen kann. Sogenannte Plissees lassen sich am flexibelsten verschieben – zum Beispiel in die Mitte, sodass oben und unten noch Tageslicht hereinkommt.

Chance für Ex- und Introvertierte

In einem Mehrfamilienhaus fällt den Erdgeschossbewohnern eine besondere Rolle zu – vorausgesetzt, dass sie sie wollen. Sie sind Poststelle für Berufstätige und Informations-Hotspot für den Rest des Hauses. Paketboten klingeln gern unten. Die Nachbarn von oben kommen nach Feierabend ohnehin vorbei. Da können sie ihre Post gleich mitnehmen und ein bisschen quatschen. Wird der Erdgeschossler unwillig, weil jemand ihn nach 22 Uhr zwecks Paketabholung aus dem Bett klingelt, erhalten kleine Geschenke die Freundschaft. Ein Blumenstrauß, eine Flasche Wein oder Pralinen – das sind die Privilegien aufgeschlossener Parterrebewohner. Doch auch Introvertierte profitieren. Die Gefahr, im Treppenhaus auf quasselfreudige Mitbewohner zu treffen, ist unten geringer. Wer von drinnen sehen kann, was draußen los ist, kann sich rechtzeitig tot stellen, um unangenehme Begegnungen zu vermeiden und muss sich nicht über die Sprechanlage als anwesend outen.

Foto: Albert

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