Wenn Kinder Erwachsene mit dieser Frage ins Schwitzen bringen, ist Kreativität gefragt
Ach, was war das süß, als unsere Tochter noch fast alles glaubte. Sie war drei, sah einen Hasen über die Wiese hüpfen und gluckste vor Glück: Osterhasi! Den kennt man ja mit drei schon ganz genau aus dem Bilderbuch. Einerseits niedlich und klein. Lange Ohren, putziger Stummelschwanz, liebes Gesicht und streichelweiches Fell. Andrerseits ein Gigant, was die logistischen Fähigkeiten betrifft. Innerhalb von 24 Stunden kann er massenweise Adressen beliefern und ist dazu noch ein Kraftprotz.
Er schleppt Fahrräder und malt Eier an
Immerhin schnallt sich so ein Hoppel das Vielfache des eigenen Körpergewichts in Form von Schoko-Eiern, Häschenschule-Büchern oder auch mal Kinderfahrrädern auf den Rücken und transportiert alles im Affenzahn zum Kunden. Dass das Häschen nebenbei ein feinsinniger Künstler ist, der mit Pinsel in der eher grobmotorisch veranlagten Pfote bunte Farben auf weiße Eierschalen kleckst, lässt den Weihnachtsmann alt aussehen.
Wer will schon früh Zweifel anmelden?
Dreijährige haben damit keine Probleme. Eltern auch nicht. Die erste Fuhre mit Geschenken bringt der Hase nachts. Der Rest kommt beim Osterspaziergang im Wald aus allen Richtungen – und landet zufällig immer da, wo Erwachsene sich gerade mal weggeschlichen haben, um nach Hasenspuren zu suchen. Welch ein Spaß für Eltern, wenn dabei ein echtes Felltierchen auftaucht. Für Kinder der sichere Beweis: Diese sagenhafte Wesen gibt es wirklich. Mehr geht nicht. Wer möchte da schon Zweifel anmelden?
„Mama, wie kommt der bei uns rein?“
Unsere Tochter jedenfalls nicht. Zumindest mit drei noch nicht. Die Phase der kritischen Fragen begann erst zwei Jahre später. Auch da fielen die Antworten uns noch einigermaßen leicht, erforderten aber ein bisschen Kreativität.
Kind: „Warum hat der eigentlich Eier? Der ist doch kein Huhn.“
Elternteil: „Die Hühner geben ihm die zum Anmalen.“
Kind: „Letztes Jahr hat er Yannik ein Bobbycar gebracht. Wie hat er das denn getragen?
Elternteil: „Bei manchen Sachen helfen Erwachsene.“
Kind: „Wie kommt der eigentlich bei uns rein?“
Elternteil: „Ähm, wie der Weihnachtsmann. Durch den Schornstein.“
Kind: „Sina aus Käfergruppe hat gesagt, es gibt keinen Osterhasen.“
Elternteil: „Dann wird wohl auch keiner zu ihr kommen.“
Bevor allzu viele Fragen das sagenhafte Tier verscheuchen, geben Fünfjährige lieber Ruhe.
Im Wald wird Papa auf frischer Tat ertappt
Dennoch mehren sich die Ungereimtheiten von Jahr zu Jahr. Uns erwischte es später, als das Kind sechs war.
Kind: „Ich habe gesehen, dass Papa zu Hause Schokohasen eingepackt hat.“
Mutter: „Oha, vielleicht hat er die für den Osterhasen mitgenommen.“
Kind: „Quatsch, Hasen fressen Gras.“
Zweifelnde Kinderaugen richten sich scharf auf den Vater an der Lichtung hinter den Bäumen. Das Kind stellt die Vertrauensfrage: „Jetzt aber mal ehrlich: Gibt es den Osterhasen oder nicht?“ Ich atme tief durch. Das Kind hat uns auf frischer Tat ertappt. Jetzt muss es wohl die Wahrheit wissen. Wir wollen ja nicht, dass die großen Jungs in der Schule sie auslachen.
Es gibt eben echte und unechte Osterhasen
Ich gestehe flüsternd: „Papa spielt Osterhase. Aber nicht verraten. Er weiß ja nicht, dass du es weißt.“ Sie lächelt selig. Es ist aufregend, ein Osterhasen-Geheimnis zu haben. Papa kehrt unauffällig pfeifend zurück. Sie läuft zur Lichtung, und – oh Wunder der Natur – scheucht dabei einen echten Hasen auf. Ach du Schreck. Was soll ich denn jetzt sagen? Wir schweigen, während ihre Augen verraten: Netter Versuch, Mama, aber nicht mit einer Sechsjährigen! Abends im Bett stellt sie zufrieden klar: „Papa war der unechte Osterhase und ich habe den echten gesehen. Aber nicht verraten.“
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