Verrückt, aber wahr: Nie wieder können Mama und Papa so gut entspannen wie auf der Autobahn
Tagelang Auto fahren mit Kindern? „Warum tut ihr euch das bloß an?“, fragen unsere Freunde regelmäßig vor den großen Sommerferien, wenn wir verraten, dass wir uns wieder einmal längs durch Deutschland schlagen und dann die Alpen überqueren wollen, um zwei Wochen in Italien zu verbringen. „Wir fliegen lieber“, halten die anderen uns vor und schieben pflichtbewusst nach: „Ist zwar doof wegen der Emissionen und so. Aber machbar im Vergleich zur Autobahn.“ Denn mindestens vier Menschen, gequetscht auf minimalem Raum, in explosiver Stimmung bei Tempo 130 ergeben auch keine guten Emissionen. Wir werden in solchen Momenten still. Natürlich haben die anderen Recht. Wir müssen dankbar sein, dass sie uns nicht noch Kinderquälerei vorwerfen. Denn wir fahren trotzdem. Wir haben unsere Gründe dafür. Ob man es nun egoistisch, pragmatisch, bescheuert oder clever findet: Wir fahren einfach gern.
Hundert lustige Spiele auf der Autobahn? Nein danke
Nicht weil wir nach den langweilen Ratgebern aus der Kategorie „100 Ideen für lustige Spiele mit Kindern auf der Autobahn“ Nummernschilderraten spielen wollen, Quizfragen abarbeiten oder heiß darauf sind, gesunde Möhren- und Kohlrabi-Schnitze mit Wasser zu verteilen. Auch nicht, weil wir konstruktiv die soeben zum zweiunddreißigsten Mal gehörte Benjamin-Blümchen-Folge mit den Kids durchsprechen möchten. Unser wahres Motiv ist Bequemlichkeit. Denn nirgendwo sonst im Urlaub können Eltern so gut chillen wie festgezurrt im fahrbaren Untersatz. Mit der Aufgabe „Fahren“ sind mein Mann und ich prima beschäftigt. Wir sind nicht über- und nicht unterfordert, tauchen selig ab im Hier und Jetzt. Dürfen nicht gestört werden. Wir sind im Flow. Also fast high. Wir haben ein gemeinsames Ziel (macht glücklich, hält die Familie zusammen, fördert das Miteinander, und so weiter). Und wir haben unschlagbar gute Gründe, die Kinder abzuweisen, wenn sie nerven. Unsere Super-Ausrede bei anstrengender Ansprache: Papa fährt. Mama schläft; sie muss sich schließlich fit machen für den Fahrerwechsel. Oder umgekehrt.
Bei Langeweile reicht der Hinweis aufs Handy
Hieß es in grauer Vorzeit noch „Mama, spielst du mit mir?“, reicht heute der Hinweis aufs Handy. „Du weißt doch, Schatzilein, dass du auf der Fahrt auch mal länger darfst.“ Dafür muss ich mich nicht einmal mehr umdrehen. Mir wird deshalb auch nicht mehr schlecht. Hatten Eltern früher die Pflicht, ihre Brut unterwegs zu unterhalten, so ist das heute automatisiert. Das Kind ist mit seinen Kinderliedern, Filmen und Hörspielen via Smartphone mit Stöpseln fest verankert. Malen und rätseln geht auch ohne Stifte und Papier, die nur herunterfallen. Blindes Tasten vom Beifahrersitz in den Fußraum der Rückbank mit Verrenkungsgefahr ist passé. Es soll einmal Zeiten gegeben haben, in denen kleine Nervbolzen die Frage „Wann sind wir da?“ bis zu hundertmal wiederholt haben. Die Nummer läuft bei uns schon lange nicht mehr. Nachdem wir zweimal gezeigt haben, an welcher Stelle im Navi die weitere Fahrzeit abgelesen werden kann, entblödet sich niemand mehr, dieses Thema auch nur anzudeuten.
Autobahnraststätten haben etwas Magisches
So schön die Fahrerei ist, um Pausen kommen wir nicht herum. Doch auch die sind echte Erholung geworden. Wollen die Kleinen auf dem Rastplatz nicht mit in den Wald (Entspannung im Grünen), reicht ein Hinweis auf den Hund. Der braucht seine Bäume. Und wenn er nicht rauskommt, haucht er im Kombi-Kofferraum seinen Mundgeruch beim Hecheln in die Nacken der Kinder. Das motiviert zu meckerfreien Waldgängen.
Auch Autobahnraststätten sind uns schon lange kein Gräuel mehr. Im Gegenteil: Sie haben etwas Magisches. Hier dürfen Erwachsene (geschmacklich) wieder Kind sein, die Vorbildfunktion ablegen (ist ja ein Ausnahmefall) und zum Ausgleich der vielen Knabber-Kohlrabis mit gutem Gewissen Pommes futtern und Cola trinken. Nie verstehen wir uns so gut mit den lieben Kleinen wie in diesen Momenten. Der Kaffee danach ist unglaublich – vor allem, wenn es Tische mit Aussicht auf den Spielplatz gibt. Nur das ermöglicht echte Pausen fürs Fahrerteam („guck mal, die Rutsche da draußen. Meinetwegen dürft ihr hin“).
Im Sanifair-Sammelfieber gleich mehrmals aufs Klo
Aufs Klo gehen? Das kommt bei Kindern ja oft etwas plötzlich. Manchmal auch während des Essens, was Eltern wenig begeistert – außer auf Anlagen mit dem Sanifair-Logo. Da zischen unsere Kinder auch ganz alleine ab, wenn sich was ankündigt. Statt „Du sollst mitkommen“ heißt es jetzt „Gib mal Geld“. Das wird erst ins Pinkeln investiert und dann via Rückvergütung in Schokoriegel verwandelt. Wir erlauben es. Schließlich verbringen die Kids dann auch noch ein bisschen Zeit im Krimskrams-Shop an der Theke der Tanke (ein weiteres Plus an Freizeit für uns). Dass man als junger Mensch im Sanifair-Sammelfieber gerne auch mehrmals muss, versteht sich von selbst. Noch ein Plus für uns.
Es könnte tagelang so weitergehen, wenn nicht irgendwann eine Kleinigkeit dazwischenkäme. Wir sind da. Steigen aus bei Affenhitze. 39 Grad im Schatten. Davon haben haben wir im klimatisierten Auto nichts gemerkt. Die Laune sinkt. Wir versprechen für den nächsten Tag einen Ausflug. Museum, Ritterburg, Stadt mit Eisbude? Die Vorfreude hält sich in Grenzen. So richtig bockt nichts davon. „Ist mir egal“, sagt der Sohn schließlich. „Hauptsache, wir fahren lange mit dem Auto dahin.“
Fotos: Albert
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