Wer ständig meckert, bettelt um Aufmerksamkeit. Wann ist das okay und wann eine Zumutung?
Wetter, Stress, Politik, Corona, Rückenschmerzen, nervende Partner, anstrengende Kinder – wenn wir ehrlich sind, jammern wir alle ganz gerne mal. Ein bisschen meckern und Mitleid heischen? Das hat etwas Befreiendes und kann durchaus nützlich sein. Wir dürfen mal Dampf ablassen statt Ärger in uns hineinzufressen. Im Sinne der Psychohygiene ist es klasse. Allerdings kommt’s auf die Menge, auf die Umstände und auch auf die Art des Jammerns an. Denn nicht jeder Notruf aus dem Jammertal bringt uns weiter. Wer es übertreibt, verspielt seine Chancen ausgerechnet bei denen, von denen er sich eigentlich Zuwendung wünscht.
Zuhören und Trost spenden hilft kurzfristig
Wer kennt das nicht? Da trifft man Kollegen, Nachbarn, Freunde – und kaum haben die einen erblickt, geht’s los mit dem Jammern über die Widrigkeiten des Lebens und wie schlimm die Welt im Allgemeinen oder die persönlichen Leiden im Besonderen sind. Meist geht es dabei um Dinge, an denen man ohnehin nichts ändern kann. Zuerst sind wir durchaus geneigt, anderen zuzustimmen, wenn die sich über die Schlechtigkeit des Daseins auslassen. Wir hören zu und spenden Trost, indem wir versichern, all das genau so zu sehen. Kurzfristig hellt die Welt sich bei dieser Form des solidarischen Jammerns ein wenig auf. Langfristig ist aber leider niemandem geholfen.
Wer nur meckert, bleibt in der Opferrolle
Das Problem: Wer überwiegend meckert, ändert nichts – außer dass man sich damit nur noch tiefer in die Opferrolle hinein begibt und darin erstarrt. Schließlich haben ja auch andere bestätigt, wie aussichtslos die eigene Lage ist. Statt zu versuchen, aus dem Teufelskreis des Jammerns herauszukommen, verschwenden Nörgler Energie im Suchen und Finden von neuen Leidensgeschichten, ohne einen Schritt weiterzukommen. Denn wenn ein Thema ausgejammert ist, findet sich sofort ein neues.
Unterschied zwischen Jammern und Klagen
Wer das von sich selbst oder von anderen kennt, stellt sich zwangsläufig irgendwann die Frage: Wie komme ich da raus? Oder wie verhindere ich, dass mir meine meckernden Mitmenschen so auf die Nerven gehen, dass ich den Kontakt abbrechen möchte? Ein Denkanstoß zur Hilfe und Selbsthilfe ist eine Begriffsbetrachtung. Es gibt nämlich einen feinen kleinen Unterschied zwischen Jammern und Klagen. Letzteres kann heilen, ersteres tut allen Beteiligten nur weh. Wer klagt, bekennt sich zu seinem Kummer, seiner Wut, seiner Enttäuschung oder seinem Schmerz. Das muss heraus, um die Seele nicht mehr zu belasten, den Kopf frei zu kriegen für Lösungen und den Schmerz irgendwann loslassen zu können. Bestenfalls geht es einem danach besser. Man spürt die wohltuende Nähe zu anderen. Meist klagen wir nach schlimmen Erlebnissen wie dem Tod eines geliebten Menschen. Die Klage hat dann eine heilende Kraft.
Jammern braucht keinen konkreten Anlass
Anders ist das beim Jammern. Es braucht keinen konkreten Anlass, sondern bleibt unverbindlich. Oder es richtet sich immer gegen die gleichen Menschen – mit dem lähmenden Gefühl für die Betroffenen „Es ändert sich ja sowieso nichts“ und für die Hilfsbereiten „Die Gespräche drehen sich im Kreis“. Wer viel jammert, fühlt sich machtlos und ausgeliefert. Diese Form der Kommunikation hat nichts Verbindendes. Weder der Jammernde noch die Zuhörer spüren tröstende Gefühle. Denn beide wissen: Das Gejammer endet nicht. Haben wir es endlich geschafft, einen Punkt aus der langen Alles-ist-schlecht-Liste abzuhaken, kommt bestimmt der nächste auf den Tisch. Das zerrt an den Nerven.
Hat jemand wirklich vor, etwas zu ändern?
Kein Wunder, schließlich haben Forschungen gezeigt, dass Menschen, die über dieselben Dinge jammern, im Grunde nicht vorhaben, etwas zu ändern. Sie wollen eher beachtet und gelobt werden. Das geht allerdings schnell auf Kosten anderer. Freunde, Familienmitglieder und Bekannte sehen sich dann als emotionaler Mülleimer. Denn nicht selten implizieren Jammerer Kritik, Vorwürfe und Schuldzuweisungen – entweder gegen die Zuhörenden oder gegen andere. Wird das dann aus Höflich- oder Hilflosigkeit bestätigt, konzentrieren die Unzufriedenen sich noch stärker darauf und die Probleme werden in ihrer Wahrnehmung noch schlimmer.
Den Meckerern auf die Sprünge helfen
Statt dessen kann man versuchen, Anregungen zu geben, die den Blickwinkel ändern. Helfen Sie Jammernden auf die Sprünge: Was läuft denn gerade gut? Wofür ist man dankbar? Was macht Spaß (oder hat früher mal Spaß gemacht)? Was wünschen sie sich? Was wollen sie noch erreichen? Die Energie, die sonst im Jammern verpufft, lässt sich so auf Lösungen richten. Und nicht zu vergessen: Jammern kann anstecken. Da hilft es, rechtzeitig das Thema zu wechseln, um die Lawine gar nicht erst loszutreten.
Strategiewechsel mit Überraschungseffekt
Allerdings ist die Konstellation „Einer nölt, der andere will helfen“ häufig schon so festgefahren, dass jeder wohlmeinende Ratschlag ins Leere geht. Auf einen Vorschlag („versuch es doch mal mit …“) kommt eine automatische Abwehr mit Vorwurf („du hast ja keine Ahnung, wie schwer das ist“). Also geht das Spiel weiter. Einer darf Vorschläge machen – und zwar so, als trüge er die Verantwortung – und der andere blockt bockig ab. Wieder landet man in der Sackgasse. Hier kann es hilfreich sein, sich mal überraschend anders zu verhalten als sonst.
Eine Lösung fordern statt liefern
Ein Beispiel: Wenn die gute Freundin über ihr Single-Dasein jammert, bekommt sie erst einmal Zustimmung („ja, du hast Recht, Alleinsein ist schlimm“), aber dann ist Schluss. Es gibt keine Ratschläge mehr. Als Zuhörer und Ideengeber müssen Sie es ertragen, eine Zeitlang einfach zu schweigen. Das ist ungewohnt, kann aber den Teufelskreis durchbrechen, denn damit geben Sie die Verantwortung zurück. Weiteres Genörgel wird nicht mehr angenommen, sondern abgeblockt („das sagst du doch schon seit Jahren, das ist nichts Neues“). Fordern Sie an dieser Stelle eine Lösung statt eine vorzuschlagen („was hast du denn jetzt vor?“).
Kein Patentrezept, aber Möglichkeiten
Wie so oft im Leben gibt es kein Patentrezept über den Umgang mit Jammernden. Es kann aber lohnen, über mögliche Reaktionen nachzudenken und sie auszuprobieren. Da ist zum Beispiel der Mann, der unter der schlechten Laune seiner Frau leidet. Die ist chronisch krank, mit ihrem Beruf unzufrieden und steht noch stärker unter Druck, seit ihre Mutter versorgt werden muss. Ein einfaches „Hör mal auf zu meckern“ bringt der Mann in Anbetracht der Situation nicht über die Lippen; sie würde dann beleidigt sein. Das zieht ihn so herunter, dass er manchmal sogar über eine Trennung nachdenkt, obwohl die Beziehung viele Jahre gut lief.
Lernen, sich innerlich abzugrenzen
Statt sich weiter innerlich zu verabschieden, könnte das Paar sich klar machen, dass die Belastungen aktuell zwar riesig, aber in dieser Intensität nur vorübergehend sind und man gerade jetzt schöne Momente braucht. Vielleicht ist es der Frau gar nicht bewusst, dass sie nur noch schlechte Laune verbreitet. Was hat beiden vorher Spaß gemacht? Was könnte einer für den anderen tun statt zu jammern? Könnten beide sich zusammen ablenken, um nicht nur um die Probleme zu kreisen? Mal wieder ins Kino gehen, einen Ausflug machen?
Allein zu innerer Ruhe finden
Wenn das nicht möglich ist, kann Abstand hilfreich sein. Es ist durchaus denkbar, dass ein Partner etwas alleine macht und auch erklärt, wie schwer es sonst für ihn ist. Um wieder Kraft zu tanken, kann das zum Beispiel die Beschäftigung mit Themen sein, die zu innerer Ruhe verhelfen. Kurse für Meditation, Yoga oder Achtsamkeits-Training sind eine gute Möglichkeit, um zu lernen, sich innerlich abzugrenzen.
Was ist, wenn man selbst zu viel jammert?
Das gilt natürlich nicht nur für die Opfer der Stimmungsverderber. Wer selbst Neigungen zum Nölen hat und daran etwas ändern will, sollte die eigene Aufmerksamkeit auf sein Problem richten und allein nach Lösungsmöglichkeiten suchen. Vielleicht können Sie aus Ihrem Genörgel konstruktive Kritik herausziehen, die Sie weiterbringt. Machen Sie sich klar, womit genau Sie unzufrieden sind und begeben Sie sich dann mental in die Rolle eines fiktiven Gegenübers. Was würden Sie sich selbst raten, wenn Sie sich selbst im O-Ton anhören müssten? Oft ist es nämlich leichter, anderen etwas Konstruktives vorzuschlagen als sich selbst. Auch scheinbar banale Hinweise („so schlimm ist es doch gar nicht, wenn du bedenkst, wie schnell du letzte Woche aus dem Tief herausgekommen bist“) können ein Impuls sein.
Nicht ärgern, sondern die Einstellung ändern
Eine bewusste Entscheidung gegen das Jammern kann entlasten. Gibt es tatsächlich keine Lösung, ist ein Strategiewechsel noch einen Versuch wert: Ärgern Sie sich nicht länger über bestimmte Dinge oder Menschen, sondern ändern Sie Ihre Einstellung dazu. Ansonsten gilt: Ob Sie es mit Dauernörglern zu tun haben oder selbst einer sind – wenn gar nichts aus dem Jammertal herausführt, kann es in beiden Fällen hilfreich sein, sich an einen Psychologen oder eine Psychologin zu wenden.
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