Warum der Zauber des Augenblicks auf die Dauer glücklicher macht als Erfolg und Besitz
Fragt man Menschen nach ihrem Traum vom Glück, kommen meistens ähnliche Antworten: Mehr Erfolg, mehr Liebe, mehr Besitz, mehr Geld, mehr Ruhm, mehr Schönheit. Das ist naheliegend. Immer mehr zu wollen, so scheint es, ist ein Grundbedürfnis des Menschen. Oder zumindest seiner Träume. Die Realität sieht allerdings anders aus. Schönheit, Geld, Ruhm und Co. führen nicht ins große Glück, weil sie auf Immer-mehr-Wollen basieren – und da ist nach oben bekanntlich unendlich viel Luft. Wer immer mehr möchte, wird keineswegs glücklich damit, sondern – im Gegenteil – oft sogar eher unglücklich. Die typischen Träume von Zufriedenheit durch Mehr-Haben und Bessersein sind nämlich Illusionen. Warum? Weil sie nur das erste Stadium beschreiben und die Folgen ausblenden.
Lottogewinner sind nicht übermäßig happy
Das ist auf den ersten Blick schwer zu verstehen. Jeder möchte schließlich toll, beliebt, reich und schön sein. Doch man muss sich selbst ein bisschen austricksen, um es zu verstehen. Denn reines Wissen wie „Ein Lottogewinn macht nicht glücklich“ oder „schöne Menschen haben es nicht besser“ hilft in diesem Fall nicht weiter. Man muss etwas tiefer blicken und Beispiele betrachten – etwa Studien über Lottogewinner. Die beschrieben im Rahmen einer Untersuchung die Intensität ihrer Glücksgefühle im Durchschnitt mit Level vier von sechs möglichen Stufen. Nicht schlecht, werden Sie sagen, doch sobald Sie wissen, dass auch jeder andere, der nicht im Lotto gewonnen hat, sein persönliches Glück mit 3,82 beziffert, ist der Unterschied zwischen Gewinnern und Nicht-Gewinnern nur minimal. Das Lottoglück ist also nicht sonderlich toll, obwohl Millionen Menschen glauben, ein Geldsegen in Millionenhöhe sei der Himmel auf Erden.
Ist das Ziel erreicht, lässt das Glück nach
Auch ein teurer Urlaub ist kein Glücksgarant. Der Verstand flüstert uns erst einmal ein: Ja, buche die drei Wochen am Strand, sie werden dich wahnsinnig glücklich machen. Wir glauben das auch gern. Schließlich ist Träumen erlaubt. Die Planung macht dann auch riesig Spaß. Möglicherweise ist sie sogar die glücklichste Phase des Projekts Urlaub. Denn vom Start an geht‘s nicht mehr weiter nach oben. Untersuchungen haben gezeigt, dass der Glückslevel sofort nachlässt und leicht sinkt, wenn man dann endlich am ersehnten Strand liegt. Zurück zu Hause sind wir nicht glücklicher als vorher. Glücksgefühle? Zufriedenheit? Neuer Schwung, der so richtig happy macht? Fehlanzeige.
Ein perfekter Körper weckt Verlustangst
Und wie ist es mit der Liebe? Wer sich auf Partnersuche begibt, um im dauerhaften Glücksrausch zu taumeln, wird ernüchtert. Das Über-beide-Ohren-Verliebtsein ist zwar phantastisch und setzt enorme Glücksgefühle frei, doch die schrumpfen automatisch nach etwa eineinhalb Jahren auf ein Normalmaß, wie eine Langzeitstudie der Michigan State University ergab. Bleibt noch die Schönheit. Ein Leben im Traumkörper. Topfit, schlank, mit Maßen wie ein Model? Das muss es doch sein, oder? Leider auch nicht. Selbst dieser Segen hat einen Haken: Wer sich nur über seine Fitness oder seine Schönheit definiert, fühlt sich dauerhaft bedroht. Denn es kann ja jeden Tag vorbei sein. Dieser Zustand der körperlichen Perfektion ist so flüchtig, dass er mehr Angst vorm Verlust als Freude über den Besitz auslöst.
Das Streben nach mehr ist Strategie
Kleine Krücke für alle, die es immer noch nicht glauben: Erinnern Sie sich an Zeiten, in denen Sie besonders glücklich waren. Brauchten Sie dafür ein riesigen Haus, ein dickes Auto oder ein volles Konto? Wahrscheinlich nicht. Warum hören wir nicht auf mit dem ewigen „Ich will mehr“, wenn wir doch schlau genug sind, die Illusion zu enttarnen? Ganz einfach: Weil es schwer ist. Wir müssen dabei nämlich gegen uns selbst argumentieren. Die Natur hat unser Gehirn darauf angelegt, dass es sich immer wieder anpassen kann. Deshalb gibt es sich ungern zufrieden mit dem, was ist. Es will mehr; der Mensch möchte schließlich abgesichert sein gegen eventuelle Bedrohungen. Reine Überlebensstrategie.
Glück ist der Genuss des Augenblicks
Also zieht uns die Sehnsucht nach Verbesserung regelrecht weiter. Gelingt ein Schritt nach vorne (die Aufnahmeprüfung geschafft, den Sportwettkampf gewonnen, endlich wieder verliebt, die Gehaltserhöhung durchgesetzt), erscheint eine Zeitlang alles gut. Doch dann setzt der Gewöhnungseffekt ein. Statt zufrieden zu sein, halten wir nach neuen Sehnsuchtszielen Ausschau. Das ist keineswegs schlecht. Ein Leben ohne Ziele wäre ja langweilig und ohne Ziel-Erreichen auch noch frustrierend. Doch der Genuss des Augenblicks darf dabei nicht auf der Strecke bleiben.
Nicht überlegen, was jetzt noch fehlt
Was können wir also tun, um vom Wissen über die Glücks-Illusion zu profitieren und Glück über den Gewöhnungseffekt hinaus zu empfinden? Die Antwort sind Weisheiten, die auf den ersten Blick banal klingen, aber wunderbar einfach sind: Nehmen Sie sich regelmäßig Zeit für Dinge, die immer wieder schön sind, an die man sich nicht gewöhnen kann. Suchen Sie die kleinen Glücksmomente im Alltag – allein, mit Freunden oder mit der Familie. Genießen Sie Gespräche, Momente der Ruhe, Reisen (die müssen nicht weit oder teuer sein), den Zauber der ersten Sonnenstrahlen am Morgen oder das Grün der Natur beim Spaziergang. Halten Sie abends dankbar Rückschau auf den Tag. Betrachten Sie das Positive aus der Vogelperspektive: Wie gut geht es uns doch! Was haben wir Schönes! Vergleichen Sie sich dabei nicht mit anderen. Ob im Beruf oder beim Hobby – gehen Sie einer erfüllenden Aufgabe nach, und das Glück wird sich von alleine einstellen. Es ist kein Zustand, den man erreichen muss. Es fliegt uns zu. Und wenn es da ist, seien Sie mit dem zufrieden, was Sie gerade haben, und überlegen Sie nicht, was jetzt noch fehlt. Der Schriftsteller Theodor Fontane beschrieb das so: „Wenn man glücklich ist, sollte man nicht noch glücklicher sein wollen.“
Foto: Albert
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