Depressionen im Alter: Hildegard braucht jetzt Hilfe

Jeder vierte über 70 leidet still, denn die Krankheit ist im Alter oft schwer zu erkennen

Mehr als achtzig Jahre ging alles relativ gut. Hildegard B. war gesund und hatte einen verlässlichen Bekanntenkreis. Erst als sie für eine Operation mit 81 Jahren ins Krankenhaus musste, begannen die Veränderungen. Die einst lebensfrohe Frau wurde ängstlich und unsicher, verlor Gewicht und schlief schlecht. Das Laufen tat weh. Das Hören wurde schlechter. Das Gedächtnis ließ noch schneller nach als vorher. Gleichaltrige Freunde starben. Den berufstätigen Kindern und Enkeln wollte Hildegard nicht zur Last fallen. Da kamen Fragen auf: Hat alles überhaupt noch einen Sinn, wenn ich so eingeschränkt bin? Verurteilt zum Alleinsein? Vielleicht bald hilflos in der Wohnung, von Schmerzen gequält oder angewiesen auf fremde Menschen im Pflegeheim? Mit den körperlichen Problemen kamen auch die seelischen. Nach Angaben der Stiftung Deutschen Depressionshilfe gehört die Schwermut zu den häufigsten und hinsichtlich ihrer Bedeutung am meisten unterschätzten Erkrankungen. Jeder fünfte Bundesbürger erkrankt ein Mal im Leben an einer Depression. Bei über 70-Jährigen ist es sogar jeder vierte. Nur eine Minderheit wird dabei optimal behandelt.

Depressionen im Alter: Wie reagiert die Familie richtig?

Hildegards Familie bemerkte die Veränderungen, stellte aber bald fest, dass die üblichen Kopf-hoch- und Wird-schon-wieder-Parolen nichts mehr bewirkten. An manchen Tagen wollte Hilde gar nicht mehr aufstehen. Der Sohn und die beiden Töchter, die regelmäßig vorbeikamen, waren verunsichert. Die einst so starke Mutter war wie ein kleines Kind. Wie reagieren wir richtig? Wie können wir helfen, ohne zu verletzen? Ohne die Geduld zu verlieren oder ärgerlich zu werden? Nach Angabe von Experten der Depressionshilfe steht an erster Stelle eine Erkenntnis, die Angehörige wissen müssen: Die Trauer, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit ist eine ernstzunehmende Krankheit und keine Überempfindlichkeit, Dummheit, Bösartigkeit oder schlechte Laune. Die Betroffenen können nichts dafür. Sie dramatisieren ihr Leiden keineswegs, auch wenn die Familie das „objektiv“ anders sieht. Ein „Reiß dich doch mal zusammen“ oder „Anderen in deinem Alter geht es noch viel schlechter“ verbessert gar nichts. Im Gegenteil. Solche Ratschläge deprimieren nur noch mehr und verursachen Schuldgefühle.

Bei schweren Depressionen im Alter zum Arzt

Bei schweren Depressionen sollten Angehörige die Initiative ergreifen und einen Arzttermin machen. Denn die Kranken selbst können sich oft nicht mehr dazu aufraffen oder glauben, dass ihnen ohnehin nicht zu helfen sei. Depressionen werden in der Regel mit einer Psychotherapie oder mit Medikamenten behandelt. Oft ist es sinnvoll, beides miteinander zu kombinieren. Wenn alles nicht hilft, kommt ein Aufenthalt im Krankenhaus oder in einer Tagesklinik infrage, die sich auf ältere Patienten spezialisiert hat.

Depressionen im Alter: Bitte nicht abwenden

Für Angehörige gibt es ein paar wichtige Verhaltenshinweise:

Bitte nicht abwenden: Viele Senioren zeigen sich schroff und abweisend, sehnen sich aber trotzdem nach Unterstützung.

Geduldig bleiben: Der Zustand kann vorübergehen, wenn der Betroffene richtig behandelt wird.

Nicht überfordern: Wer sich über längere Zeit um einen Depressiven kümmert, darf sich nicht überfordern. Hilfsdienste oder Tagesstätten für psychisch Kranke beraten oft auch Angehörige.

Entscheidungen verschieben: In depressiven Phasen sehen Betroffene manches unrealistisch und verzerrt. Das ist kein guter Zeitpunkt für weitreichende Entscheidungen. Vielleicht sieht alles schon wieder ganz anders aus, wenn die Welt wieder „heller“ wird.

Nicht alles abnehmen: Für die Tagesstruktur und fürs Selbstbewusstsein ist es wichtig, dass Depressive die Aufgaben, die sie schaffen können, auch wirklich machen. Den Haushalt führen, Einkaufen und Kochen gehören dazu. Das sollten die Angehörigen auch loben.

Beim Aufraffen helfen: Sich waschen, richtig anziehen, das Haus verlassen, einen Spaziergang machen – gut, wenn die Familie auf diese Dinge achtet und die Betroffenen dabei in dem Maße unterstützt, in dem sie es brauchen.

Tätigkeiten erleichtern: Kleine Aufgaben sind leichter zu bewältigen als komplexe. Am besten, man zerlegt größere Dinge, die erledigt werden müssen, in einzelne Schritte und beendet eine Aufgabe, bevor die nächste losgeht.

Foto: Albert

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