Psychologin Nele Sehrt: Wie die Partnerschaft gelingt

Liebe passiert, Beziehung ist Arbeit: Paartherapeutin über das Geheimnis einer langen Liebe

Träumen wir nicht alle von lebenslänglichem Liebesglück? Wäre es nicht großartig, wenn die Beziehung ewig so schön wäre wie in der ersten Zeit der Verliebtheit? Keineswegs, sagt die Hamburger Psychologin Nele Sehrt in Ihrem Buch „Liebe passiert, Beziehung ist Arbeit“. Denn dauerhaftes Verliebtsein kann niemand aushalten. Statt falschen Hoffnungen hinterher zu laufen, ist es hilfreicher, sich klarzumachen, dass bedingungslose Liebe einem nur am Anfang zufliegt. Danach wird Arbeit daraus – und das ist gar nicht schlecht. Denn es lohnt sich, aus dem ersten großen Rausch eine tiefe lange Beziehung zu machen statt einfach aufzugeben, wenn nicht mehr alles von alleine läuft, wie die Psycholgin, Paartherapeutin und Autorin Nele Sehrt im Interview verrät.

Ihr Buch heißt „Liebe passiert, Beziehung ist Arbeit“. Ergibt sich eine gute Beziehung nicht von allein, wenn die Liebe einen trifft?

Das wäre natürlich schön. Aber wer davon ausgeht, dass man sich nur seinen Gefühlen hingeben muss und die Beziehung läuft dann ganz von allein, der hat gute Chancen, enttäuscht zu werden. Denn es gibt große Unterschiede zwischen der meistens glückseligen ersten Phase des Verliebtseins und den Herausforderungen, die eine lange und erfüllte Beziehung an uns stellt.

Wie geht‘s in der Regel los?

Am Anfang ist die Liebe wie ein Rausch, dem man sich gar nicht entziehen kann. Sie macht dich unfassbar glücklich, haut dich um und lässt dich über Wolken schweben. Du musst nichts dafür tun. Das Gehirn setzt neurochemische Prozesse in Gang, die dich mit Botenstoffen überschwemmen. Eine unglaublich spannende und aufregende Zeit.

Offenbar hat die Natur das so angelegt?

Ja, aber nur für eine gewisse Zeit. Sie schickt einen Hormoncocktail, der einem natürlichen Drogenrausch gleicht. Damit fühlen wir uns sauwohl. Negatives wird ausgeblendet und unsere Kuschelhormone bauen die Bindung auf. Intimität und Nähe sind plötzlich ganz leicht. Und diese Phase hat auch eine wichtige Funktion: Man sammelt Glück für schlechte Zeiten.

Wie lange kann man diese Phase durchhalten?

Länger als 12 bis 18 Monate schafft das der Körper nicht. Die Botenstoffe stabilisieren sich wieder und beenden die Phase – ob wir wollen oder nicht. Wie bei Sucht und Manie kommt nach dem Hoch ein Tief. Je nachdem, wie hoch man geflogen ist, kann ein harter Aufprall folgen. Manchmal ist es auch nur ein schleichender Prozess. Und mit der Nüchternheit entstehen gerne die ersten Probleme und Auseinandersetzungen.

Welche sind das vor allem?

Erst einmal muss ein Paar mit der Enttäuschung fertig werden, dass es aus dem Rausch in die Realität gerutscht ist. Ohne rosaroten Schleier werden die Unterschiede deutlicher. Was am Anfang vielleicht noch niedlich war, löst jetzt keinen High-Effekt mehr aus. In der Verliebtheitsphase war man auf Gemeinsamkeiten fokussiert, danach sucht man Unterschiede. Je nachdem, wie wir in unserem Leben zum Beispiel Kommunikation, Bedürfniswahrnehmung und Emotionsregulation gelernt haben, können daraus größere Probleme entstehen.

Wie kommt das?

Jeder Mensch bringt eigene Vorstellungen mit, wie eine glückliche Beziehung auszusehen hat. Das Problem ist nur, dass mein Partner auch eigene Vorstellungen von einer Beziehung hat. Da ist Teamarbeit gefragt. Es geht in einer Partnerschaft nicht darum, das eigene Muster durchzusetzen, sondern gemeinsam ein neues, drittes Muster zu gestalten – ein Muster, in dem sich beide wiederfinden. Wer den anderen bekämpft, um ihn zu verändern, wird verlieren. Aber wer gestaltet, gewinnt. Beziehung ist Arbeit, die sich lohnt.

Wie kann ein Paar an sich arbeiten?

Häufig geht in längeren Beziehungen die gegenseitige Wertschätzung verloren. Man achtet nicht mehr darauf, was am anderen toll ist, wie man es am Anfang getan hat, sondern sucht seine Fehler. Wir sind es gewohnt, nur selten auf das zu sehen, was funktioniert. Statt dessen stellen wir erstmal das in den Vordergrund, was nicht klappt.

Wie zeigt man seinem Partner Wertschätzung?

Ich nenne Wertschätzung angewandte Liebe. Anerkennung ist ein Grundbedürfnis, ohne das wir nur schwer leben können. Wer seinem Partner immer nur sagt, dass er etwas falsch macht oder anders sein müsste, darf sich nicht wundern, wenn der sich nicht verstanden fühlt. Wer sich das bewusst macht, kann die Wertschätzung in die Beziehung zurückholen, indem man gemeinsam den Blick auf das lenkt, was gut läuft. Man kann sich für den anderen interessieren, ihn nach seiner Meinung fragen oder herausfinden, ob man überhaupt noch miteinander befreundet ist. Dann kommt man auch wieder in die Wertschätzung.

Also alles loben und nicht herummeckern?

Ganz so einfach ist es leider auch nicht. Wenn ich mir überlege, wofür ich meinen Partner eigentlich schätze, sollte es nicht um allgemeines Lob gehen, sondern um ein ganz persönliches und spezifisches. Das bedeutet, dass ich mich mit ihm auseinandergesetzt habe. Es heißt: Ich sehe dich. Ich nehme dich als Person wahr und schätze dich wert. Ein „Ich mag dich“ ist zu allgemein. Ein „Ich mag dich, weil …“ hat aber eine gute Chance, spezifisch zu werden. Das ist auch die Erklärung, weshalb uns manchmal ein „Warum?“ auf der Zunge liegt, wenn unser Partner uns sagt, dass er uns liebt.

Sollte man denn Streit vermeiden?

Nein. In guten Partnerschaften darf und sollte auch gestritten werden. Damit das ohne Verletzungen gelingt, kommt es auf das Verhältnis von Wertschätzung und Kritik an. Der US-amerikanische Psychologe John Gottman fand heraus, dass zufriedene Paare fünfmal wertschätzend kommunizieren, bevor sie sich einmal kritisieren. Diese 5:1-Formel zeigt, dass wir gut mit Streit umgehen können, solange wir uns wertschätzen. Nicht zu streiten, ist kein Merkmal einer glücklichen Beziehung. Es kommt eher auf die Freundschaft an.

Oft wünscht sich einer Veränderungen?

Die sind auch möglich, die Frage ist nur wie. Wenn ich erst wertschätze, was da ist, und dann etwas gemeinsames Neues vorschlage, habe ich gute Chancen, den anderen in meiner Begeisterung mitzuziehen. Ich kann meinem Partner zum Beispiel erst einmal sagen, was ich auch nach all den Jahren noch super an ihm finde und dann vorschlagen, mal etwas Neues auszuprobieren. Dabei ist es wichtig, dass ich das auch wirklich so empfinde und es nicht einfach sage, um mich durchzusetzen. Wenn ein Paar es geschafft hat, den Alltag insgesamt respektvoll zu gestalten, kann man auch mal gleich mit der Tür ins Haus fallen. Der Veränderungswunsch wird dann nicht als Entwertung aufgefasst, was sonst häufig zu Streit führt.

Manchmal erscheint eine Trennung aber leichter?

Sogar immer wieder. Das Trennungsangebot schwirrt ständig mit. Es kann auch sehr schön sein, sich nach einer Krise wieder neu für den Partner zu entscheiden – und damit auf einer tieferen und ehrlicheren Ebene nochmal Ja zu sagen. Manchmal passt es aber auch einfach nicht und es ist nicht der richtige Zeitpunkt, weil beide sich erstmal um sich kümmern müssen. Ansonsten kann es schon Sinn machen, sich nicht gleich zu trennen – immerhin nimmt man sich und seine eigenen Verhaltens-weisen und Vorstellungen mit in die nächste Beziehung. Die Liebesbeziehung gehört zu den größten Herausforderungen, die uns im Leben begegnen. Sie besitzt das Potential, dass wir uns immens weiterentwickeln und alte Muster heilen können. Die Liebe passiert einem, einfach so. Was danach kommt, kann mit verdammt harter Arbeit verbunden sein. Aber: es lohnt sich!

Was ist das Wichtigste für langjährige Partnerschaften?

Das Wichtigste ist, dass sich die Beziehung entwickeln darf. Paare müssen es aushalten können, dass die Liebe nicht immer schön ist. Jeder muss Veränderungswünsche so äußern, dass sie nicht verletzend rüberkommen, und sein eigenes Leben so gestalten, dass er sich wohl damit fühlt, ohne den anderen zu übersehen. Wenn man das nicht beachtet und an bestimmten Strukturen oder Verhaltensmustern festhalten möchte, wird‘s schwer. Damit eine Beziehung lange erfüllend bleibt, ist es auch wichtig, dass ein Paar sich das Glück, das es am Anfang erlebt hat, später – wenn der anfängliche Hormonrausch vorbei ist – selber machen kann, damit neue Glückshormone entstehen. Idealerweise lassen beide den Partner dafür an ihrer Entwicklung und an ihren persönlichen Prozessen teilhaben, können einander verstehen und aufeinander eingehen.

Foto: Claudia Timmann

Buchtipp

Nele Sehrt: Liebe passiert, Beziehung ist Arbeit: Wie eine gute Partnerschaft gelingt (ZS Verlag, 16,99 Euro)

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