Senioren am Steuer

Senioren am Steuer: Papa, halt bitte an!

Wenn Autofahren schwieriger wird, geben Senioren am Steuer das ungern zu

Sie waren lange nicht gemeinsam unterwegs. Doch jetzt hatte der Vater mal wieder zu einem Ausflug eingeladen. Wie früher, als die Kinder und später die Enkel klein waren. Senioren am Steuer? Darüber hatte der Sohn sich lange keine Gedanken gemacht. Doch nun erschrak er. An der ersten Ampel sauste sein Vater bei Rot rüber. Kurz danach kam es beim Überholen fast zum Crash. „Papa, bist du wahnsinnig? Halt bitte an.“ Der Vater, einst ein sicherer Autofahrer, hatte wohl ziemlich abgebaut, was seine Fahrkünste betraf. „Wieso? Ist doch nichts passiert“, entgegnete der 83-Jährige und fuhr seelenruhig weiter. Rote Ampel? Hatte er nicht gesehen. Und wenn schon. „Da kommt sowieso nie jemand.“ Gefährliches Überholen? Papperlapapp. Es war nur eng, weil der andere Trottel ihn nicht durchlassen wollte. „Ich fahre jetzt seit mehr als 60 Jahren unfallfrei. Ich weiß, was ich tue.“ – „Ich glaube, du überschätzt dich“, erlaubte sich der Sohn zu sagen. Und die Stimmung war am Boden.

Senioren am Steuer: Angehörige sind besorgt

Eine Situation, wie sie in vielen Familien vorkommt. Da verfehlt der Außenspiegel nur knapp ein geparktes Auto. An der engen Baustelle beträgt der Abstand zum Bauzaun nur noch Zentimeter. Beim Abbiegen und Überholen kommt der rasende Rentner Radfahrern gefährlich nah. Beifahrer sind erschrocken: „So kann das nicht mehr weitergehen.“ Die Großeltern sollten nicht mehr ans Steuer, lautet die Empfehlung. Doch das ist alles andere als einfach. 41 Prozent der Angehörigen eines älteren Autofahrers sind nach Angaben des deutschen Verkehrssicherheitsrates um dessen Sicherheit besorgt.

Tabuthema: Ermahnungen wirken verletzend

Dass Senioren aus Altersgründen freiwillig aufs Autofahren verzichtet, klingt zwar sehr vernünftig, ist aber fast immer ein Tabuthema. Die Angehörigen beginnen mit gut gemeinten Ermahnungen, die als Vorwürfe oder Verletzungen verstanden werden. Auf der einen Seite steht Verantwortungsgefühl, auf der anderen gekränkte Ehre. Das Problem wird sich in den nächsten Jahren noch verschärfen. Die Deutschen werden immer älter, bleiben länger gesund und wollen nicht nur zu Hause hocken. Sie möchten mobil sein, solange sie es können. Mit den Babyboomern der fünfziger und sechziger Jahre, wird es in den nächsten Jahrzehnten mehr Ü80er geben als je zuvor. Schon heute sitzen viel mehr Senioren am Steuer als vor dreißig Jahren. Damals stiegen nur drei Prozent aller Autofahrer zwischen 80 und 85 Jahren überhaupt noch ins Auto. Heute sind es mehr als zwölfmal so viele.

Im Rentenalter verunglücken weniger

Wie gefährlich ist das? Verursachen ältere Verkehrsteilnehmer wirklich mehr Unfälle? Diese Frage lässt sich statistisch gesehen eindeutig mit Nein beantworten. Im Rentenalter verunglücken weniger Menschen im Straßenverkehr als in jüngeren Jahren. Gefährlich wird es erst ab 75. Zumindest im Durchschnitt. 75-Jährige und drüber sind zwar seltener im Auto unterwegs als junge Fahrer und verursachen deshalb laut statistischem Bundesamt weniger Unfälle, aber ihr Anteil wächst mit dem demografischen Wandel prozentual. Die heutige Generation 75 plus ist bei den Unfallverursachern mit 75 Prozent führend – vor den unter 25-Jährigen mit 65 Prozent.

Es gibt kein Verbot für Senioren am Steuer

Im deutschen Verkehrsrecht ist keine Altersgrenze festgelegt. Es gibt kein Fahrverbot für Senioren. Wer den Führerschein einmal gemacht hat, besitzt ihn auf Lebenszeit. Denn Autofahren bedeutet Lebensqualität, Unabhängigkeit und Selbstbestimmtheit. Da es Menschen gibt, die noch weit über 80 gut in Form sind, und andere, die schon vorm Renteneintritt ihre Selbstständigkeit aufgeben müssen, wäre es sehr ungerecht, alle über einen Kamm zu scheren.

Autofahrer über 75: Was bringen Zwangstests?

Der Abschied vom eigenen Pkw fällt Senioren schwer – vor allem, wenn sie nicht mehr gut zu Fuß sind. Auch wer sich im Auto sicher fühlt, kann kaum bestreiten, dass das Älterwerden selbst dann Schwierigkeiten macht, wenn man sich vernünftig verhält und nicht durch die Gegend rast. Es ist nicht nur schlechteres Sehen, das sich mit Brille oder einer Augen-Operation ausgleichen lässt. Im Verkehr kann jede sonst überschaubare Situation plötzlich kompliziert werden. Das Reaktionsvermögen ist im Alter oft nicht schnell genug. Man kann den Kopf nicht mehr weit genug drehen. Abläufe sitzen nicht mehr so richtig. Mancher betagte Fahrer verwechselt Bremse und Gaspedal. Das Selbstbewusstsein, das ohnehin schon angeknackst ist, weil vieles nicht mehr so geht wie früher, bekommt noch einmal einen Hieb.

In anderen Ländern ist ein Check ab 70 Pflicht

Anwälte, Politiker und Versicherungen fordern immer wieder verpflichtende Tests, bei denen die Fähigkeit zur Teilnahme am Straßenverkehr ähnlich wie beim Führerscheinerwerb von einer neutralen Stelle überprüft wird. Die Frage, ob es Altersbeschränkungen oder Prüfungen für die Fahrtüchtigkeit geben sollte, wird heftig diskutiert. Andere Länder haben so etwas. In den Niederlanden, Norwegen und Schweden zum Beispiel ist ein Gesundheits-Check ab 70 Pflicht. In Italien muss man schon ab 50 alle fünf Jahre zum Arzt, ab 70 alle zwei. Viele Verkehrsexperten halten solche Tests für sinnlos, weil sie nur Momentaufnahmen sind. „Ein faires Urteil kann nur getroffen werden, wenn der Aspekt Fahrerfahrung in einer Testsituation angemessen berücksichtigt wird“, heißt es zum Beispiel beim ADAC. Das wäre aber sehr aufwendig und könnte erfolgreichen Teilnehmern ein trügerisches Gefühl von Sicherheit vermitteln.

Senioren am Steuer: Freiwillig verzichten?

Senioren am Steuer

Reglementierungen verbessern nichts, zeigt die Erfahrung. Laut Statistik passieren in Ländern mit Zwangs-Checks nicht weniger Unfälle, an denen Senioren beteiligt sind. Überzeugungsarbeit für einen freiwilligen Rückzug aus dem Straßenverkehr gilt derzeit als wirkungsvollstes Mittel. Nicht belehren, sondern ins Gespräch kommen, lautet die Devise. Zum Beispiel über Alternativen zum Auto: Gibt es einen Bus, der in der Nähe hält? Ist es wirklich zu teuer, mal ein Taxi zu nehmen? Kann jemand anders beim Einkaufen etwas mitbringen? Vielleicht fördert das sogar das Miteinander unter Nachbarn oder in der Familie.

Kostenloses Jahresabo für öffentliche Verkehrsmittel

Einige Städte und Kommunen bieten Senioren ein kostenloses Jahresabo für öffentliche Verkehrsmittel, wenn sie freiwillig den Führerschein abgeben. Das funktioniert in der Praxis gut – wenn die Infrastruktur entsprechend ist. Während es in Groß- und Mittelstädten mit gut ausgebautem öffentlichen Nahverkehr die Möglichkeit gibt, auf Busse und Bahnen auszuweichen, ist es in ländlichen Regionen fast unmöglich, mobil zu bleiben, wenn der Bus nur zweimal am Tag kommt. Es hat dann etwas Bedrohliches, den Führerschein abzugeben. Für viele bedeutet das: „Jetzt ist es vorbei.“

Männer sind weniger selbstkritisch

Nicht nur das Alter, sondern auch der Charakter spielen eine Rolle. Verkehrspsychologen wissen, dass diejenigen, die ihr Problem erkennen, besser fahren als die, die ihre schwindenden Fähigkeiten ignorieren. Die sind die schwierigsten Kandidaten. Während die Einsichtigen vorsichtig fahren, neigen die, die sich weiterhin für gute Fahrer halten, dazu, die Schuld auf andere zu schieben und Risiken einzugehen. Vor allem Männer, die im Vergleich zu Frauen weniger selbstkritisch sind, können ihr Fahrverhalten nicht an die vorhandenen Defizite anpassen.

Verbote führen zu Trotzreaktionen

Senioren am Steuer

Was hilft, wenn ältere Menschen nicht mehr sicher am Steuer sind, aber weiterhin Auto fahren? Experten raten nicht zu strikten Verboten, die häufig nur Trotzreaktionen hervorrufen. Sinnvoll kann es aber sein, zum Beispiel nicht mehr nachts zu fahren, wenn die Sicht schlecht ist. Unbekannte Strecken zu meiden, besonders langsam zu fahren und größere Abstände einzuhalten. Das tun die meisten Autofahrer von alleine, wenn sie merken, dass sie nicht mehr sicher unterwegs sind. Der Hausarzt kann einen Check machen, der aber nicht als Freifahrtschein zu verstehen ist. Ärzte wissen um die Empfindlichkeiten ihrer Patienten. Wenn sie jemandem raten, nicht mehr Auto zu fahren, wechselt der wahrscheinlich eher den Arzt als den Führerschein abzugeben. Mancherorts bieten ADAC, TÜV oder Fahrschulen spezielle Trainings für Senioren an, bei denen Profis Feedback zum Fahrverhalten geben. Doch auch hier werden mahnende Worte gerne überhört. Ohne die Fähigkeit zur Selbstkritik nützt auch das beste Training nichts.

Senioren am Steuer: Anonym bei der Polizei melden?

Aus Sorge um die Sicherheit der eigenen Eltern und die der anderen Verkehrsteilnehmer überlegen Familienangehörige in hartnäckigen Fällen, ob es nicht möglich wäre, den Großeltern den „Lappen“ zwangsweise entziehen zu lassen. Doch das ist nicht mit einem schnellen, möglichst anonymen Anruf bei der Polizei getan. Besorgte Angehörige können bei der Führerscheinstelle vorsprechen, die die Betroffenen dann zu einer Untersuchung vorlädt. Eine Aussage wie „Ich finde, dass mein Vater schlecht fährt“ reicht dabei aber nicht. Ohne konkrete Anhaltspunkte kann eine Behörde nichts ausrichten.

Bei Unfällen: Alter schützt nicht vor Strafe

Das ändert sich allerdings, wenn Senioren häufig mit Verkehrsverstößen oder Unfällen auffallen. Werden bei einer ärztlichen Untersuchung körperliche oder geistige Defizite bekannt, haben Behörden die Möglichkeit, den Führerschein zu entziehen. Auch die Polizei kann zum Beispiel nach einem Unfall Meldung machen, was eventuell dazu führt, dass ein Gericht über den Entzug der Fahrerlaubnis entscheidet. Natürlich schützt Alter nicht vor Strafe. Wer acht Punkte in Flensburg hat, betrunken erwischt wird oder eine Straftat im Straßenverkehr begeht, wird im Falle eines Falles ebenso wie ein jüngerer Fahrer mit Führerscheinentzug bestraft. Auch die anschließende medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU) kann angeordnet werden. Übrigens: Kein Angehöriger ist berechtigt, einem älteren Familienmitglied selbst den Schein einfach abzunehmen – nach dem Motto: „So, der ist weg, jetzt darfst du nicht mehr fahren.“

Wenn jemand hilft, wird der Verzicht leichter

Um die Konflikte ohne große Dramen zu lösen, spielen neben Hausärzten die Familienangehörigen dabei die wichtigste Rolle. Sie sind die besten Helfer, wenn sie sich um die älteren Herrschaften kümmern. Ohne Vorwürfe über Probleme reden, bei Unsicherheiten freundlich unterstützen, für Senioren einkaufen, sie zum Arzt begleiten, zu Terminen fahren, mal gemeinsam den Bus benutzen – wenn Hilfe da ist, fällt der Verzicht aufs Auto leichter.

Um erst einmal ins Gespräch zu kommen, gibt der deutsche Verkehrsicherheitsrat Angehören Tipps:

1. Beobachten Sie den Fahrer genau: Macht er Fehler? Ist seine Geschwindigkeit angemessen? Überblickt er beim Abbiegen die Situation?

2. Bereiten Sie sich auf das Gespräch vor. Was ist das Ziel? Zum Beispiel ein Gesundheits-Check beim Arzt?

3. Fallen Sie nicht mit der Tür ins Haus, sondern warten Sie auf einen guten Zeitpunkt – zum Beispiel auf einen Unfall-Bericht in der Zeitung oder aus dem Bekanntenkreis.

4. Gehen Sie vorsichtig vor. Machen Sie Vorschläge statt Vorwürfe zu erheben. Was kann der Senior tun? Vielleicht ein Sicherheitstraining absolvieren? Adressen in der Nähe finden Sie hier: www.dvr.de/sht

5. Geben Sie nicht auf. Auch wenn ein erstes Gespräch nichts bewirkt, kann man es später noch mal versuchen. Sie können sich auch Verbündete suchen – zum Beispiel mal beim Hausarzt des Vertrauens vorsprechen.

Fotos: Albert

DAS KÖNNTE SIE AUCH INTERESSIEREN

Depressionen im Alter: Hildegard braucht jetzt Hilfe

In der zweiten Lebenshälfte neue Freunde finden

Trauriger Abschied: Wenn der Hund stirbt

Sich nicht mehr aufregen: Wut auf andere schadet uns selbst

Kindergeburtstag retro: Einfach mal wie früher feiern

Das Empty Nest tut weh: Eltern allein zu Hause